BVerfG: NS-Verherrlichung darf bestraft werden

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 18.11.2009

Das Bundesverfassungsgericht (1. Senat) hat - auf die Verfassungsbeschwerde des jüngst verstorbenen NPD-Funktionärs Rieger - entschieden, dass § 130 Abs.4 StGB mit Art. 5 GG vereinbar ist (kompl. Entscheidung). Das geht auch aus der gestern veröffentlichten Pressemitteilung hervor (Quelle).
§ 130 Abs.4 StGB droht demjenigen Strafe an, der öffentlich die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt und zwar öffentlich und in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise, die den öffentlichen Frieden stört.
In der Pressemitteilung wird ganz deutlich herausgestellt, dass es sich bei § 130 Abs.4 StGB nicht um ein allgemeines Gesetz handelt, was nach Art. 5 Abs.2 GG Voraussetzung der Beschränkung der Meinungsfreiheit ist. Das BVerfG in der Pressemitteilung:
"Zwar ist die Vorschrift des § 130 Abs. 4 StGB kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG, weil sie nicht dem Schutz von Gewalt- und Willküropfern allgemein dient und bewusst nicht auf die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der Gewalt und Willkürherrschaft totalitärer Regime insgesamt abstellt, sondern auf positive Äußerungen allein in Bezug auf den Nationalsozialismus begrenzt ist. § 130 Abs. 4 StGB ist aber auch als nichtallgemeines Gesetz ausnahmsweise mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar. Angesichts des
Unrechts und Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft verursacht hat, ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts immanent.
"

Der "öffentliche Friede" als Schutzgut des § 130 Abs.4 StGB sei legitim und dies führe insgesamt zur Verhältnismäßigkeit der Beschränkung der Meinungsfreiheit.

Inhaltlich stimme ich natürlich dem BVerfG zu - die Aufmärsche der Neonazis sind aus meiner Sicht kaum erträglich. Und auch die Argumentation, das ganze Grundgesetz stelle in der Konzeption eine Reaktion auf den Nationalsozialismus dar, weshalb derartige Meinungsäußerungen sich weniger auf das Grundrecht berufen können, ist gut nachvollziehbar. Dennoch - gewisse Bauchschmerzen kann ich nicht leugnen. Die hat auch Christian Rath in der heutigen taz:
"Diese Lösung hätte überzeugt, wenn die Richter sie bereits vor sechzig Jahren präsentiert hätten - als direkte Reaktion auf die Gräuel des Nationalsozialismus. Nach sechs Jahrzehnten gefestigter Demokratie kommt ein Sonderrecht gegen Rechtsradikale aber nicht mehr als machtvolle Geste des Neuanfangs daher, sondern als fadenscheinige Bemäntelung eines eigentlich verfassungswidrigen Gesetzes."(hier der vollständige Kommentar).

Kritisch auch der ehemalige Richter des 1. Senats Hoffmann-Riem in NJW 2004, 2777 (2782) gegen Beschränkungen der Versammlungsfreiheit:

"In über 50 Jahren ist der Rechtsstaat des Grundgesetzes stark genug geworden, um sich auch gegenwärtig zuzutrauen und zutrauen zu dürfen, seine Garantien unparteiisch auf alle zu erstrecken. Die Grundrechtskultur einer Gesellschaft zeigt sich auch daran, wie sie politische, auch radikale, Minderheiten behandelt. Die Zeiten können sich ändern und niemand kann sicher sein, in der Zukunft nicht selbst auf den Grundrechtsschutz angewiesen zu sein, den er jetzt vielleicht gerne anderen verwehren würde. Grundrechtsschutz für die Gegner von Freiheit ist auch Grundrechtsschutz für die Verfechter der Freiheit." (beck-online)

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15 Kommentare

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Hm, Beschränkung der Grundrechte aufgrund der Moral. Und das vom BVerfG abgesegnet. Da kann sich Radbruch aber freuen, dass auch weiterhin die Moral zur Rechtsbeugung herbeigezogen wird...

Den wie stets weisen Worten unseres Prof. Hoffmann-Riem ist nichts hinzuzufügen, ein gutes Zitat.

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@Malte S.

Besser als die Unmoral zur Rechtsbeugung herbeizuziehen, wie es auch schon mal in deutschen Gerichtssälen der Fall war.

Wenn man die Einschränkung von Art. 5 GG durch die geschichtliche Erfahrung denn überhaupt als "Rechtsbeugung" bezeichnen möchte...

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Im Umkehrschluss würde ich Hoffmann-Riem noch folgendes hinzufügen:
In 60 Jahren haben erlaube Neonazi-Aufmärsche den Staat nicht klein bekommen. Wer garantiert jedoch das in den nächsten 60 Jahren nicht jemand kommt der den Art. 5GG mit Hilfe dieser Kerbe marginalisiert?

 

Grüße

ALOA 

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Wenn man die Einschränkung von Art. 5 GG durch die geschichtliche Erfahrung denn überhaupt als "Rechtsbeugung" bezeichnen möchte...

 

Rechtsbeugung ist das falsche Wort dafür. Ich würde als Erwiederung darauf Carl Schmitt aus einer Rede Rohrmosers zitieren - auch wenn das der ein oder andere unpassend finden mag ob dem zweifelhaften Ruf Schmitts. Es geht hierbei um den Inhalt des gesagten:

Man öffnete die Türen für den Feind, d.h. das konstituierende Prinzip war - wenn wir die Sprache und Begrifflichkeit von Carl Schmitt verwenden wollen - dass diese Wertneutralität des Staates dem Staat die Fähigkeit beraubt hatte, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden! Platonisch gesehen, zu unterscheiden zwischen denjenigen, die man nicht walten lassen darf bis sie den Staat zerstört haben und denen, denen man zutrauen konnte und von denen man den Willen vermuten konnte, dass sie bereit sind, den Staat zu verteidigen.....Was da angelegt war, passierte 1933. Ein unheimliches Phänomen, über das wir noch gar nicht lange genug nachgedacht, geschweige denn praktische Konsequenzen gezogen haben, denn indem der wertneutrale Staat die Tore öffnete, zogen dann die Nazis ein. In einem Phänomen, das es so vorher noch nie gegeben hat, nämlich einer legalen Revolution.... Und diese Art von legaler Revolution muss nicht in einem dramatischen Akt erfolgen, wie das damals der Fall war, sondern sie kann auch schleichend, sie kann prozesshaft erfolgen. Auf eine Art und Weise, dass die Demokratie kaum spürbar abgeschafft wird und dabei, wie beschrieben, sogar ihre Regeln und ihre Fassade unangetastet bestehen bleibt. D.h. also die Krise der Demokratie können wir gar nicht an Kriterien beurteilen, die wir aus der Verfassung selber nehmen, sondern das ist ein geschichtlich-paradigmatischer Fall, aus dem, ich will es hinzufügen, wir nach 1945 durchaus eine Konsequenz gezogen haben. Nämlich dieser Staat, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, ist nicht wertneutral, sondern er ist durch einen Wertekatalog konstituiert. Insofern haben wir aus Weimar eine Lehre gezogen....

 

 

Ich hoffe man verzeiht mir das lange Zitat. Art 5GG ist einer der genannten Werte welcher auch der Staat nicht schrankenlos weit ausdehnen bzw. beschränken darf, dem er inkl. seiner Richter und seiner Politiker "gehorchen" muss. Muss er das nicht mehr kann sich jeder des Staates bedienen wie es ihm gerade gefällt.

 

Grüße

ALOA

 

 

 

 

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@aloa:

 

Ich verstehe was Sie sagen wollen. Wie Sie andeuten ist Carl Schmitt jedoch für mich definitiv nicht der Jurist dem ich hier das Feld überlassen möchte. Sorry, aber wer hinter Aussagen wie „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.“ steht und die Nürnberger Rassegesetze als "Verfassung der Freiheit" bezeichnet hat, dem speche ich hier die Autoriät ab.

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Das ganze Urteil halte ich für einen Abgesang auf unsere ach so pluralistische und scheinheilig meinungsneutrale Gesellschaftsordnung.

Das hätte man vor 50, 60 Jahren machen müssen, ja meinetwegen sogar in die Präambel schreiben sollen. Aber jetzt, so heimlich still und leise ist das ganze nichts anderes als das was man verdammt:

Willkür und Klassen-Rechtsprechung. Warum hat man allgemein verbindliche Regeln, wenn sie doch für bestimmte Gruppen ein Sonderregime eröffnen.

Rechtsstaatlich äußerst bedenklich.

 

Gruß

 

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Nach Art. 20 Abs. 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 wurd "[j]edes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, ... durch Gesetz verboten." Es mag viel dafür sprechen, es auch auf nationaler Ebene dabei zu belassen. Auch der EU-Rahmenbeschluss 2008/913/JI v. 28.11.2008 zur zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist insofern enger gefasst, als auch bei den Taten nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. c und d "die Handlung in einer Weise begangen ... [werden muss], die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass ... aufstachelt."

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@Ze´ev

Mir ist Schmitts zweifelhafter Ruf bekannt. Allerdings verstehe ich "Der Führer schützt das Recht..." in Zusammenhang mit meinem Zitat so, das es eben auf das Recht welches er schützt... und welches er selbst achten muss... ankommt. In Weimar gab es kein zu schützendes Recht (keine zu beachtenden Werte) mehr. Das wäre "Der Führer schützt das Recht" (und damit im Recht fest verankerte Werte) vs. "Der Führer erklärt was Recht ist" (und damit welche, oder ob überhaupt Werte existieren). Möglich das er es nicht so meinte, denn ich kenne den Zusammenhang in welchem dieses Zitat (welches wohl Wikipedia ausspuckt) getätigt wurde nicht. 

Wie dem auch sei ging es jedoch um den Inhalt des gesagten. Und da müssen wir schon aufpassen das uns die Werthaltigkeit der ersten zwei Dutzend Grundrechtsartikel nicht weiter verloren geht. Der Staat neigt in den letzten Jahren dazu diese für etwas zu halten was nur die Menschen untereinander betrifft, er selbst jedoch eine Ausnahme darstellt. Ob Meinungsfreiheit, unverletzlichkeit der Wohnung, Privatsphäre usw. gibt es immer weiter Einschränkungen und das Ende ist noch lange nicht erreicht. Da sehe ich schon mit gerunzelter Stirn jedes einknicken aus Karlsruhe.

 

Grüße

ALOA

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@aloa:

Doch, er meinte es genau so. Das Zitat stammt aus einem Aufsatz von 1934 in dem Schmitt die von Hitler angeordneten Morde des "Röhm-Putsches" juristisch rechtfertigt als "übergesetzlichen Staatsnotstand". In solchen Situationen unterstehe Hitler nicht dem Recht, sondern sei selbst "höchster Gerichtsherr", so Carl Schmitt. Ich finde, das reicht schon für mehr als einen zweifelhaften Ruf.

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Den Begriff "übergesetzlichen Notstand" gibt es auch heute noch und wurde erst letztens für bzw. gegen die Genehmigung von Flugzeugabschüssen benutzt.

Aber abgesehen davon war das mit dem Röhm-Putsch wie auch das Ermächtigungsgesetz eben das, was die absolute Neutralität bzw. Wertelosigkeit des Staates ausmacht. Der/die Führer dürfen sich eben nicht(!) über diese Werte hinweg  setzen und damit die eigenen Taten außerhalb der Gerichtsbarkeit. Sonderrecht wie der übergesetzliche Notstand sozusagen.

 

Während aber im Falle von Flugzeugabschüssen "übergesetzlicher Notstand" im Nachhinein(!) durchaus greifen kann bedeutet ein aufnehmen in das GG wie auch das erlauben weiteren Sonderrechtes eben jew. ein Persilschein dar. Und derartige Scheine werden auch gezückt und i.d.R. über Gebühr ausgenutzt. Wir werden sicher in den nächsten Jahren etliche Verfahren erleben welche sich auf diesen Urteilsspruch beziehen. Interessant wird die Quote sein welche sich nicht innerhalb des Urteils befinden. Für jedes derartiger "Ausfälle" der Staatsmacht wäre dieses Urteil verantwortlich.

 

Ich habe dabei auch so meine Bauchschmerzen. Ich bin Gottlob kein Verfassungsrichter. Als Bürger kann ich mir eine private Meinung erlauben. Meine Bauchschmerzen über ein paar NPD-Aufmärsche wie in den letzten 60 Jahren konnte ich absehen. Die Wirkung dieses Hebels jedoch nicht. Die Bauchschmerzen davor waren daher zwar vorhanden aber auszuhalten. Ich hoffe ich bekomme von diesem Urteil nicht irgendwann ein Magengeschwür.

 

Grüße

ALOA

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@ #5, #6: Schön, daß Schmitt vielleicht doch noch zu etwas gut ist.

Übrigens, Schmitts "Der Führer schützt das Recht" ist in http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt verlinkt: http://www.flechsig.biz/DJZ34_CS.pdf

Gibt es diese Zeitschrift eigentlich irgendwo komplett online? Der nächste Artikel ("Die Einheit der Staatsgewalt") scheint mir ähnlicher Unsinn zu sein.

@aloa5: Wo man Dich überall trifft ...

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"Mir ist Schmitts zweifelhafter Ruf bekannt. Allerdings verstehe ich "Der Führer schützt das Recht..." in Zusammenhang mit meinem Zitat so, das es eben auf das Recht welches er schützt... und welches er selbst achten muss... ankommt. In Weimar gab es kein zu schützendes Recht (keine zu beachtenden Werte) mehr. Das wäre "Der Führer schützt das Recht" (und damit im Recht fest verankerte Werte) vs. "Der Führer erklärt was Recht ist" (und damit welche, oder ob überhaupt Werte existieren)."

Das volle Zitat von Schmitt lautet: "Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft:"

Es geht also nicht um die Verteidigung des Rechts (das ist nur die Rechtfertigung), sondern um die Setzung von "Recht". Aus Wikipedia: "Diese behauptete Übereinstimmung von „Führertum“ und „Richtertum“ gilt als Zeugnis einer besonderen Perversion des Rechtsdenkens. Schmitt schloss den Artikel mit dem politischen Aufruf:" Dem schließe ich mich an.

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@Jens Müller
((Wg. wo man mich überall trifft) Besser spät als nie antworten)

Ich bin nicht nur Pirat sondern auch ein hm... qualitätsbewusster und fleißiger Netzie :). Ich lerne über Diskussionen. Das ist meine Art zu lernen. Und ich verteile was ich weiß.

Grüße
ALOA

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