Anklage im Fall Winnenden - Fahrlässige Tötung durch Liegenlassen einer Schusswaffe

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.11.2009

Presseberichten (Beispiel) ist zu entnehmen, dass gegen den  Vater des jugendlichen Täters von Winnenden nunmehr Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben werden soll.
Angehörige der Opfer dieses Geschehens erwarten sich von dem Prozess Antworten auf ihre drängenden Fragen nach Ursachen und Motiven für die Tat. In einem Interview mit der Zeitschrift Stern äußert die Mutter einer getöteten Schülerin sogar, dieser Prozess sei "überlebenswichtig". Man kann nur hoffen, dass die Erwartungen und hohen Ansprüche an das Verfahren, auch etwa dahingehend, wer der "Hauptschuldige" an dem Geschehen ist, in einer Hauptverhandlung nicht völlig enttäuscht werden.

Strafrechtsdogmatisch geht es bei der Frage, ob jemand, der seine Schusswaffe nicht ordnungsgemäß aufbewahrt, für eine damit begangene vorsätzliche Tat (mit)verantwortlich gemacht werden kann, um nicht abschließend geklärte Fragen der objektiven Zurechnung, genauer um die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen.
Heute wird zwar nur noch selten ein allgemeines Regressverbot vertreten (nach dem der Zurechnungszusammenhang durch das vorsätzliche Verhalten eines anderen unterbrochen werde), jedoch ist eine strafrechtliche Verantwortung für das vorsätzlcihe Verhalten Dritter wohl gesondert begründungspflichtig.

Hierzu ist zum einen darauf abzustellen, inwieweit eine solche Tat vom Schutzzweck der Sorgfaltsnorm erfasst ist. Dies lässt sich bei den Aufbewahrungsvorschriften für Schusswaffen und Munition sicherlich bejahen: Diese dienen nicht nur zur Verhütung von Unfällen, sondern auch zur Verhütung vorsätzlichen Missbrauchs der Waffen zu Straftaten (vgl. zur Thematik etwa Freund, MünchKomm zum StGB vor §§ 13 ff., Rn. 374 ff.).
Zum anderen wird es aber - auch im konkreten Fall - darauf ankommen, inwieweit das Verhalten des jugendlichen Täters für den Vater bzw. beide Eltern vorhersehbar war.
Zwar ist bei einem kurz vor der Volljährigkeit stehenden Jugendlichen die elterliche Aufsichtspflicht  typischer- und auch richtigerweise nur noch zurückgenommen, aber möglicherweise konnten (oder mussten)  die Eltern im konkreten Fall doch Anhaltspunkte für eine psychische Auffälligkeit oder gewisse Tatgeneigtheit ihres Sohnes erkennen.
Letzteres sind wahrscheinlich auch die Fragen, die die (Angehörigen der) Opfer beschäftigen. Ob sie darauf Antworten erhalten, wird sich zeigen. Ich halte es aber grundsätzlich für richtig, solche Fragestellungen in einer Hauptverhandlung zu erörtern und nicht nur ein Strafbefehlsverfahren  durchzuführen.

Hier im Beck-Blog hatten wir die Frage schon im März diskutiert (Link).

 

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9 Kommentare

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Über die Erfüllung des Tatbestandes des § 222 StGB habe ich mir gestern Abend auch Gedanken gemacht als ich es im Radio gehört habe. Zuerst dachte ich auch an eine mangelnde objektive Zurechenbarkeit. Ich denke aber, dass es eher eine Frage der Fahrlässigkeit ist. Ich bin im Strafrecht zwar nicht mehr ganz so firm, aber ich meine dass der Aufbau so ging.

 

  • Strafbarkeit fahrlässiger Verwirklichung des Tatbestandes?
  • Tatbestandsmäßiger Erfolg eingetreten?
  • Kausalität und objektive Zurechenbarkeit
  • Objektives außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Voraussehbarkeit
  • Rechtswidrigkeit
  • Schuld
  • Subjektives außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei subjektiver Voraussehbarkeit

 

Wie bereits gesagt würde ich bei der Fahrlässigkeit ansetzen und zwar beim subjektiven außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Konnte sein Vater - unterstellt er wußte von einer Krankheit seines Sohnes - erkennen, dass dieser zu Gewalttätigkeiten neigte bzw. fähig ist über die normalen von einem Teenager geäußerten Aggressionen bzw. Launigkeiten eine solche Tat zu begehen?

 

Das bleibt zu beweisen.

 

Beste Grüße,

 

Kant

 

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Ich denke, dass es nicht darauf ankommen wird, ob der Vater im Einzelfall erahnen/ vorhersehen konnte, dass sein Sohn die Waffe nehmen wird. Meiner Ansicht nach lässt sich die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit schon daran anknüpfen, dass jeder, der seine Waffe ungesichert und unkontrolliert überhauptirgendwo (also unabhängig ob im Haus oder in der Öffentlichkeit) liegen lässt, verstaut oder versteckt immer damit rechnen muss, dass seine Waffe von einem Dritten benutzt wird. Das begründet die subjektive Vorhersehbarkeit bei dem Vater in diesem Fall und nicht seine (sowieso nur schwer beweisbare) Einschätzung über die psychische Form seines Sohnes. Waffen sind nunmal kein Spielzeug und wer sie herumliegen lässt, muss sich jeder Konsequenz verantworten, die sich aus der Gefährlichkeit der Waffe ergibt. (Also nur Bedrohung und Benutzung der Waffe ihrem Waffenzweck nach, nicht schon das zuschlagen mit einem Gewehrkolben)

Mich wundert etwas, dass das Liegenlassen der Waffe als aktives Tun bewertet wird. Meines Erachtens liegt hier eine fahrlässige Begehung durch Unterlassen näher, was für die angesprochenen Probleme jedoch ohne Auswirkung sein dürfte.

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Nehmen wir mal rein spekulativ an der Vater von Tim K. hätte keine Schusswaffen gehabt und Tim K. hätte sich aus dem Geräteschuppen des Gartens ein Beil, aus der Küche ein großes Messer oder aus den vorrätigen Haushaltsmitteln Molotov - Cocktails gebaut (Anleitungen hierzu findet man im Internet, wenn man www.google.de kennt). Nach der von # 2 ausgehenden Argumentation würde der Vater daher nur fahrlässig gehandelt haben, weil es sich eben um eine Schusswaffe handelt. Natürlich ist es einfach einen Menschen aus der Distanz zu töten als ihn unmittelbar mit einer Axt oder einem Messer tödlich zu verwunden und daraus ergibt sich eine erhöhte Sorgfaltspflicht (die er offenkundig verletzt hat), aber die Strafbarkeit insgesamt davon abhängig zu machen welche Tatwaffe Tim K. benutzt hat, halte ich für zu unsicher.

 

Man kann mir natürlich jetzt entgegenhalten: "Du stellst doch aber auf die subjektive Vorhersehbarkeit ab!" Richtig, aber diese subjektive Vorhersehbarkeit von Tims Vater muss natürlich mittels Anhaltspunkten bestimmt werden. Tim K war meines Wissens in psychatrischer Behandlung. Die Eltern werden als Erziehungsberechtigte von den Ärzten umfassend informiert. Was ergab sich aus diesen Gesprächen? Was ist in seinem - wenn auch sehr raren - Umfeld bemerkt worden, speziell Nachbarn, Lehrer, Freunde, Sportkameraden, Großeltern usw. usf.
Wenn sich aus Indizien ergibt, dass Tim K. einen extremen Hass gegenüber seiner Umwelt entwickelt hat bzw. Gewaltphantasien geäußert hat und wie das psychatrisch zu bewerten ist, dann würde ich die subjektive Vorhersehbarkeit bejahen.

 

Beste Grüße,

 

Kant

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An # 3: Das ist natürlich eine Wertungsfrage. Woran will man anknüpfen? An das pflichtwidrige Unterlassen, die Waffe nicht eingeschlossen zu haben oder an das Hinlegen der Waffe (aktives Tun) in den Nachttisch.

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@Kant: Wie ich schon sagte, bezieht sich mein Argument nur darauf, dass die Waffe auch ihrem Gebrauch nach verwendet wurde. Hier ist natürlich essenziell, dass es normierte Sorgfaltsvorschriften gibt und daher unabhängig vom EInzellfall immer ein sujektive Sorgfalt begründen.

Die speziellen Sicherungsvorschriften für Waffen weisen darauf hin, dass der Gesetzgeber berechtigterweise es generell, in jedem Moment des ungeschützten Verwahrens einer Schusswaffe, für vorhersehbar hält, ein Unbefugter könnte sich der Waffe bemächtigen, um sie schusswaffentypisch zu gebrauchen. Dabei wird nach Waffen, nicht aber nach personalen Verhältnissen differenziert. Offensichtlich wird daher von der Waffe als Gefahrenquelle in der Hand jedes Unbefugten ausgegangen, die als solche Gefahrenquelle abzuschirmen ist, und nicht von äußeren Umständen wie etwa konkrete Personen, deren Zugriff auf die Waffe verhindert werden müsste. Welche Einschätzung der Vater über seinen Sohn traf, halte ich daher nicht für bedeutsam.

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Sehr geehrter Herr Richard,

die Rspr. stimmt wohl mit Ihnen überein. Dies hier hatte ich schon im März zitiert (allerdings halte ich zumindest den letzten Halbsatz für überzogen):

Zitat aus OLG Stuttgart NStZ 1997, 190: "Gegenstände, die selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch erfahrungsgemäß Gefahren für die Rechtsgüter anderer mit sich bringen, bedürfen besonders sorgfältiger Sicherung; in aller Regel ergibt sich dies bereits aus Rechtsvorschriften... In all diesen Fällen an sich gefährlicher oder mißbrauchsgefährdeter Gegenstände führt die Verletzung der durch eine Rechtsvorschrift angeordneten besonderen Sicherungspflicht dazu, daß, wenn diese Gegenstände infolge mangelnder Sicherung durch den Garanten von Dritten zu Fahrlässigkeits- oder Vorsatztaten mißbraucht werden, der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verletzung der Sorgfaltspflicht und der Straftat des Dritten hergestellt wird. So wird beispielsweise der Besitzer einer Waffe, der diese nicht ausreichend gegen unbefugten Gebrauch sichert, wegen fahrlässiger Tötung bestraft, wenn ein Dritter die Waffe an sich bringt und für einen Mord mißbraucht (vgl. S/S- Cramer 24. Aufl., § 15 Rn 154); ein Kraftfahrzeugbenutzer, der durch mangelnde Sicherung eines Kraftfahrzeugs die Unfallfahrt eines Dritten mit Körperschaden beim Unfallgegner fahrlässig ermöglicht, macht sich wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung strafbar (vgl. BGH VRS 20, 282; OLG Hamm NJW 1983, 2456)."

Teile der Literatur sehen das enger: So etwa Roxin (AT I, § 24 Rz. 33), der auch in solchen Fällen die Erkennbarkeit einer Tatneigung verlangt, da sonst kaum eine Grenze zu ziehen sei.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

 

vielen Dank für das von Ihnen angegebene Zitat. Die Ansicht der Rechtsprechung ist zwar durchaus nachvollziehbar, aber ich stimme mit Roxin dahingehend überein, dass eine Erkennbarkeit zu verlangen ist, um eine Grenze zu ziehen. Es freut mich jedenfalls, dass ich mit meiner oben angegeben Ansicht nicht ganz alleine auf weiter Flur stehe. Welche Ansicht vertreten Sie?

 

Beste Grüße,

 

Kant

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