Versteckte Klausel im Koalitionsvertrag - neue Zeugenpflichten

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 25.10.2009

Im Koalitionsvertrag steht an etwas versteckter Stelle folgendes:

 

Erscheinenspflicht von Zeugen vor der Polizei
Wir werden eine gesetzliche Verpflichtung schaffen, wonach Zeugen im Ermittlungsverfahren nicht nur vor dem Richter und dem Staatsanwalt, sondern auch vor
der Polizei erscheinen und – unbeschadet gesetzlicher Zeugenrechte – zur Sache
aussagen müssen. (
Quelle)

 

Dies ist eine kleine Überraschung, denn vorab habe ich von diesem Bestreben nichts gehört. Ist es auch sinnvoll? Einerseits. Dass bisher keine derartige Pflicht bestand, war vielen unbekannt. Weshalb sie - vielleicht auch einfach aus dem Gefühl moralischer Verpflichtung heraus, bei der Aufklärung von Straftaten zu helfen, zur Polizei gingen. Dass sie nun dazu gesetzlich verpflichtet sind, wird ihnen also gar nicht auffallen. Insbesondere weil Polizeibeamte ohnehin bisher davon ausgingen, dass eine solche Pflicht besteht.

Andererseits: Zwar ist der Zeuge verpflichtet, zur Sache auszusagen, aber was passiert, wenn er (nicht wahrheitsgemäß) sagt, er wisse nichts? Das ist, wenn man § 153 StGB unverändert lässt, aber nicht als Falschaussage strafbar. Es wäre vielleicht eine Strafvereitelung, aber dazu sind noch mehr Voraussetzungen zu erfüllen.

Was meinen Sie? Wo liegt der Sinn dieser Vereinbarung?

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

17 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Ich denke, es liegt daran dass die jüngeren Rechtsunkundigen ins Internet gehen, und dort auf zig Webseiten lesen dass man bei der Polizei nicht aussagen muss. Dies führt wiederum dazu dass die Polizei ihre Post immer öfter umsonst verschickt. Also hat die Lobby der Polizei die CDU gebeten da was zu drehen.

0

Den Hinweis auf § 153 StGB verstehe ich nicht. Falschaussagen vor dem Staatsanwalt (bei dem eine Pflicht zum Erscheinen von je her besteht) sind doch auch nicht strafbar, insofern besteht da gar kein Zusammenhang.

0

Sehr geehrter Herr Tilmann,

da könnte durchaus etwas dran sein.

Sehr geehrter Herr Johannes,

die Pflicht vor dem Staatsanwalt zu erscheinen, besteht durchaus und es besteht auch dort keine Strafbarkeit der Falschaussage, da haben Sie Recht. Doch handelt es sich dabei um eine in der Praxis relativ selten genutzte Variante. Die Zeugenaussage vor der Polizei betrifft sehr viel mehr Fälle, von daher rührt auch der Zusammenhang. Meine Vermutung: Die Polizei wird mit der Zeugenpflicht (wie bisher schon, aber jetzt auch mit rechtlichem Hintergrund) Druck ausüben nach dem Motto: Wenn Sie bei uns nichts sagen wollen, lassen wir Sie vom Staatsanwalt vor den Richter zitieren.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Henning Ernst Müller,
ich kann das nicht ganz nachvollziehen, zum einen ist man als Zeuge nicht verpflichtet vor der Polizei eine Aussage zu machen und muß auch einer Ladung nicht folgen auf dem Polizeirevier eine Zeugenaussage zu machen!
Das steht wohl im irgendwo im BGB.
Die Polizei scheint das nicht zu interessieren (vermutlich nicht alle)
Wenn dann aber Nachts plötzlich die Polizei unangemeldet vor der Tür steht und sichtlich erregt erklärt, man wäre bereits einer Vorladung zur Zeugenaussage auf das Polizeirevier zu kommen nicht nachgekommen.
Sie hätten auch mehrmals telefonisch den Kontakt gesucht, ferner hätten sie 20 mal auf die mailbox gesprochen, man müßte als Zeuge dieser Aufforderung nachkommen auf das Polizeirevier zu kommen um eine Zeugenaussage zu machen. Ich machte die Polizei darauf aufmerksam dass sie sich unbefugt auf unserem Grundstück befänden.
Dass sie des weiteren vor dem befriedeten Grundstück an der Sprechanlage anmelden hätten müssen und fragen ob sie das Grundstück betreten dürfen.
Der einzige Kommentar der Polizei, Jetzt gehts aber los und sind jetzt langsam fertig.
Ich muß dazu erwähnen es ging nicht um mich als Person sondern um eine volljährige Person meiner Familie die im Augenblick des Auftauchens der Polizei auch nicht anwesend war (zum Glück so wie die Polizei drauf war).
In dem erregten Gespräch habe ich die Herrschaften mehrfach darauf aufmerksam gemacht dass wir einer Aufforderung der Polizei zur Zeugen aussage nicht verpflichtet sind und ich das im Internet gelesen habe.
Nun wurden die Herrschaften erfinderisch und begannen zu drohen ( ich zitiere Wortwörtlich) wenn die Person meiner Familie nicht willig ist bei der Polizei ein Zeugenaussage zu machen werde ich ganz ganz stark darüber nachdenken ob mir vielleicht noch etwas einfällt um die Person doch zu einer Zeugenaussage bei der Polizei zu bringen.
Mir fehlen hier die Worte, ich habe aber den Herrschaften auch erklärt dass genau dieses Vorgehen der Polizei dazu beiträgt dass keiner freiwillig zur Polizei geht eine Zeugenaussage zu machen.

Abschließend eine Frage meinerseits, wenn man davon absolut überzeugt ist als Zeuge zu einer Sache keine Angaben mehr machen zu können, da man selber bei dieser Sache nicht dabei war.
Die Polizei hat bereits eine erste Aussage am Unfallort aufgenommen.
Nur Blechschaden Nachts, alkoholisiert, Fahrer wurde auch vernommen.
Person beim Unfall nicht dabei war bzw. gesehen hat.
Der Unfallfallfahrer hatte versucht das Fzg. alleine wegzuschieben!
Das Familienmitglied und der Freund kamen dazu als der Unfallfahrer das Fzg. wegschieben wollte.
Die Person und ein Freund hat nur geholfen das Kaputte Fzg. von der Fahrbahn zu schieben).
Hier ist jetzt die Polizei ins Spiel gekommen und hat den Unfall aufgenommen und Zeugenaussagen der Jugendlichen aufgenommen.
Familienmitglied und Freund waren der Meinung sie können nichts dazu Aussgaen, da sie nicht beteiligt waren und den Unfall auch nicht gesehen haben.
Mußten aber gezwungener Massen vor Ort auf Druck der Polizei eine Aussage machen.

Ich habe mich auch über diese Vorgehensweise der Polizei schriftlich beschwert bei der zuständigen Beschwerdestelle.
Unterm Strich sehe ich das aber als Aussageerpressung entsprechend § 343
Ist das so ?

0

Dann würden nicht wenige Zeugen wohl auch einen Rechtsbeistand mitnehmen, was dem Berufsstand zu Gute kommt, nicht jedoch dem Geldbeutel der nicht selten minderbemittelten Zeugen.

0

Also, ich finde das Vorhaben vollkommen richtig. Wenn es auf die Zeugenaussage nun einmal ankommt, muss man es auch staatlicherseits durchsetzen können, dass der Zeuge zur Aussage erscheint. Ob die Aussage vor der Polizei oder dem StA/dem Richter getätigt werden soll, ist dabei wohl zunächst einmal egal - Pflicht und Zwang sind doch derselbe, oder?  Da die Polizei ja nun einmal tatsächlich die Ermittlungen führt, sollte sie auch die Möglichkeit haben, die Zeugen, auf die es ankommt zum Erscheinen "zu zwingen". Und: Warum sollte die Entscheidung der Polizei, auf dem  Erscheinen eines Zeugen zu bestehen weniger richtig/wichtig sein, als die eines Amtsanwalts/Staatsanwalts?

0

Die Ermittlungen führt die Staatsanwaltschaft, die Polizei ist also quasi nur "Hilfsbeamter".

 

Das Vorhaben wäre in vielerlei Hinsicht sehr problematisch und rechtsstaatlich bedenklich.

 

Da sich viele potentielle Zeugen vor einer Anhörung der Staatsanwaltschaft bzw. vor Gericht beraten liessen, müssten sie dies dann  auch bei der Polizei tun, wo jedoch die Kurzfristigkeit und der Überraschungsfaktor so hoch ist, dass eine Information und Wahrung der Rechte des Bürgers/ Zeugen regelmäßig stark gefährdet, zumeist sogar ausgeschlossen ist.

 

Nach (vermeintlichem) Polizeibedarf vernommene Zeugen sitzen keinem für die Rechte des Vernommenen umfassend sensibilisierten, studierten und gebildeten Akadmeiker gegenüber.

 

Zudem ist zu befürchten, dass das Vorhaben zur Reduktion von freiwilligen Zeugenzahlen führt.

 

Sehr gut ist allgemein einführend in die Problematik auch der kurze Beitrag von RA Vetter "Von der Polizeiwache in die Ordnungshaft".

 

 

 

 

0

Hallo, das ist doch gar nicht so neu. Bereits im Gesetz zur Effektivierung des Strafverfahrens (BR-Drucks. 660/06; wie kann man einen Gesetzesentwurf nur so nennen) war das geplant. Bisher ist es nur nicht in Angriff genommen worden, und ich meine: Gott sei Dank.

Wie soll das gehen? Entscheidet die Polizei über ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein Auskunftsverweigerungsrecht, oder sollen die nicht mehr bestehen? Ist eine ladung/Vorankündigung erforderlich? Wie ist es bei, wenn der Zeuge nicht aussagt? Hat die Polizei dann die Möglichkeit Zwangsmittel festzusetzen.? Vielleicht gleich von der Polizeiwache in die Beugehaft? Bisher ist es doch wohl, dass die StA die Herrin des Verfahrens ist, auch wenn die Polizei die Ermittlungen führt. Die Gewichte werden so ganz eindeutig verschoben. Das hat sich doch auch schon im 1. JuMoG angekündigt. Da hat man schnell mal aus den Hilfsbeamten der StA die Ermittlungspersonen gemacht.

 

Das als erstes von einem liberalen Koalitionspartner? Ist - gelinde gesagt - dann doch erstaunlich.

0

Auch wenn ich von dem folgenden Medium insgesamt nicht viel halte, so weiss man doch, dass die hier auf Seite 2 "Reduziert werden sollte auch ein Pressegespräch..." geschilderten Ereignisse im Rahmen einer Veranstaltung am 15. Mai 2009 nicht unrealistisch sind und wohl im Detail auch keine Ausnahme. Schon vor diesem Hintergund ist eine Zeugenpflicht für die eher pragmatisch orientierten und weniger theoretisch abstrahierenden Beamten, als die umfasssend studierten Juristen, extrem bedenklich.

0

 

Sehr geehrter Herr Burhoff,

tatsächlich hatte ich wohl infolge fragmentarischer Wahrnehmung von diesen vorherigen Plänen noch nichts gehört. Ich sehe den Plan hinsichtlich der Zeugenrechte aber genau so kritisch wie Sie.

Ich erlaube mir, Ihren eigenen Blog-Beitrag dazu zu verlinken.

Man kann nur hoffen, dass mit der Klausel

– unbeschadet gesetzlicher Zeugenrechte –

ein Hebel für die Justizministerin gegeben ist, das ganze Projekt auf Eis zu legen.

Insgesamt erscheint mir der Koalitionsvertrag in der Rechtspolitik als ein merkwürdiges Sammelsurium von Einzelmaßnahmen ohne rechten übergreifenden Zusammenhang.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Vetter legt den Finger auf die Wunde. Zudem wird die Polizei dazu übergehen, keine Beschuldigten mehr zu vernehmen, sondern "Zeugen". Ich frage mich wirklich, was die FDP glaubt, warum man sie gewählt hat. Erbärmlich.

0

@ Maximilian R.: So sieht es der Gesetzgeber, aber: Kann man nicht auch durch Wahl der Worte etwas deutlich machen bzw. das versuchen? Zudem sind bei der Durchsicht der Papiere die Befugnisse damals erweitert worden.

@ Dr. Gonzo: Und damit ist dann der Streit um die Frage, ob und wann der "Zeuge" zum "Beschuldigten" geworden ist und also solcher belehrt werden musste, vorprogrammiert. Und das alles vor dem Hintergrund der Abwägungslehre der obergerichtlichen Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten. 

Da kommt einiges auf die Strafverfahren zu.

0

In der Tat käme man mit einer solchen Regelung viel schneller von einer "Zeugenvernehmung" über Wahrnehmung eines Auskunftsverweigerungsrechts zur Beschuldigung des bisherigen "Zeugen".

Einmal OT noch ein Schmankerl aus den Vereinbarungen:

http://www.sueddeutsche.de/politik/879/492238/text/

 

....Um die "Effizienz der Zwangsvollsteckung" zu steigern, soll das Gerichtsvollzieherwesen privatisiert werden. Die Gerichtsvollzieher sind bisher Beamte. Künftig sollen sie "beliehene Unternehmer" sein. Es wird also ein Privatmann, dem der Staat diese Aufgabe überträgt, bewegliche Sachen pfänden und versteigern.....

 

Eine kurze Google-Suche ergab das dies schon längere Zeit ein FDP-Projekt ist welches über die Länderebene schon mehrfach durchgedrückt werden sollte. Im Gespräch ist dabei das 2,6 bis 3-fache der Gebühren:

http://www.vollstreckungsbescheid.de/zwangsvollstreckungrecht.html

http://www.google.de/search?hl=de&q=%2B%22beliehene+Unternehmer%22+%2Bge...

 

Das hört sich auch nicht wirklich nach einer Verbesserung an.

 

Grüße

ALOA

 

 

0

Ich würde sagen, der Staat wird unfair, wenn er Zeugen schon vor Akteneinsicht repressiv zu einer Auskunft verpflichten würde. Wollen wir

mal hoffen, dass nicht am Zeugnisverweigerungsrecht auch herumgebastelt werden soll. 

Kommentar hinzufügen