Netzsperren vorerst ausgesetzt ! (?)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 15.10.2009

Offenbar hat die FDP, laut Bericht von Spiegel-Online - in den Koalitionsverhandlungen erreicht, dass das Zugangserschwerungsgesetz ausgesetzt wird. Die Netzsperre a la Ursula von der Leyen kommt nicht!

Nach diesem Bericht der Rheinischen Post soll nun erst einmal versucht werden, kinderpornographische Seiten zu löschen und der Erfolg nach einem Jahr evaluiert werden.

Allerdings Skepsis bei Thomas Stadler von Internet-law.

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9 Kommentare

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Laut den Presseberichten wird die Sperre ein Jahr ausgesetzt, das BKA soll auf Lösch-Bemühungen ausweichen.

Danach soll eine Evaluierung durchgeführt werden, auf Basis derer weiter entschieden wird.

Jedohc:
Ein objektivierbares Evaluierungsergebnis ist bei diesem Thema mE. nicht "herausmessbar." Zumal manche Server nur stunden oder tageweise online sind.

Wie soll hier ein behauptetes Evaluierungs-Ergebnis irgendwie überprüfbar sein?

Theoretisch, und ohne dass ich das unterstellen würde: das BKA könnte auf konspirative Weise KiPo Server im Ausland betreiben, deren Abschaltung es dann nicht erreicht.

 

Die interessantere Fragestellung sehe ich aber an einem ganz anderen Punkt:

Entschlössen sich die Provider, freiweillig und auf eigene Verantwortung die Namensauflösung zu KiPo Servern unterdrücken zu wollen, dann gäbe es eine "Nachfrage" nach den Listen zu blockierender KiPo Seiten.

--Darf denn nun das BKA weiterhin und dennoch KiPo-Server-Listen sammeln, erstellen und an die Provider weitergeben? Sei es auch nur in Form von Hash-Werten, bei denen ein Rückschluss auf den Klartext nicht möglich ist?

Das Personal ist ja offenbar hierfür schon aufgebaut.

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Stimmt nicht. Der Praktikant bzw. Zeitarbeiter beim Spiegel hat lediglich einen falschen Titel gesetzt. Im Text steht Bei den Internetsperren verständigten sich die Verhandlungspartner darauf, dass das Bundeskriminalamt (BKA) zunächst versuchen soll, kinderpornografische Seiten zu löschen, statt zu sperren. Das ist wischiwaschi. Tatsächlich wurde ja bisher immer behauptet, dass die Polizei nicht befugt sei, Löschaufforderungen abzuschicken (stimmt zwar nicht, wird aber immer wieder behauptet). Mit anderen Worten: nichts ändert sich.

 

Richtig schlimm im Artikel finde ich dies:

Für heimliche Online-Durchsuchungen von Computern Verdächtiger ist künftig eine Anordnung der Bundesanwaltschaft nötig.

 

Da kommt einem das Grauen, wenn man sich erinnert, wie oft Frau Harms in der letzten Zeit nachträglich abgewatscht wurde.

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Sehr geehrter Herr Joachim,

Ihren ersten Hinweis habe ich schon oben eingebaut - da haben wir uns gekreuzt.

Dass das BKA heimlich so vorgeht wie Sie es andeuten, halte ich für sehr unwahrscheinlich, ein solches Vorgehen würde ohnehin bekannt werden und ist daher von vornherein zwecklos.

Dass die Provider nun selber freiwillig sperren, obwohl kein Gesetz (und auch kein Vertrag) sie dazu verpflichted, halte ich für ebenfalls nicht sehr wahscheinlich. Die Provider haben doch großen Wert darauf gelegt, dass man Ihnen staatlicherseits die Haftung abnimmt, falls sie aus Versehen eine nicht-kinderpornographische seite sperren; das war sowohl Inhalt der Verträge als auch des Gesetzes. Dies wäre aber bei einer freiwilligen Sperre wohl nicht der Fall.

Sehr geehrter Herr Tilmann,

was stimmt nicht? Die ganze Meldung? Was soll so bleiben wie bisher?

Im Moment "schwebt" das Zugangserschwerungsgesetz beim Bundespräsidenten. Es sollte nach der Unterzeichnung formal in Kraft treten. Die Koalition hat - wie schon an anderer Stelle ausgeführt - zwei Möglichkeiten:

1. Das Zugangserschwerungsgesetz wird durch ein neues Gesetz wieder abgeschafft. In der Zwischenzeit wird es nicht ausgeführt.

2. Das Zugangserschwerungsgesetz tritt in Kraft und es wird verabredungsgemäß zunächst nicht ausgeführt. Nach einem jahr entscheidet man, ob man es gesetzlich wieder abschafft oder dann auch in die Praxis umsetzt.

Wahrscheinlich ist jetzt diese zweite Version verabredet worden. Damit wäre der Streit auf später verschoben.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Lieber Herr Prof. Müller,

ergänzend noch ein Zitat aus der "ausländischen Online-Presse: "Die geheime URL-Sperrliste, die ohne richterliche Kontrolle vom BKA gewartet wird, bleibt aber offenbar."

(http://futurezone.orf.at/stories/1629469)

Ich weiß leider nicht, worauf futurezone die Behauptung gründet. Die Teufel werden vielleicht hier wieder im Detail stecken.

Ich halte es für recht wahrscheinlich, dass das BKA weiterhin die "KiPo-URL-Liste" pflegt,  dass es versuchen wird, den Nachweis zu führen, einigermaßen engagiert die Löschungen zu erreichen und schließlich binnen Jahresfrist präsentiert, wieviele Angebote es wann und wie versuchte zu löschen.

Die interessante Frage wäre auch, ob die Evaluierung nur (BKA-) intern durchgeführt wird, ob die Evaluierungskriterien a) vorher, öffentlich und schriftlich und b) präzise definiert werden und objektivierbar sind. Oder darf sich das BKA die Evaluierungsmethodik und die Kriterien selbst aussuchen?  Und wie sieht es mit Grenzfällen bei der Altersbestimmung aus? Wie genau wird gezählt? Gilt ein nach deutschen "BKA-"Kriterien zu sperrendes Angebot, das nach einer Löschanfrage aber mit "in unserem Land legal, daher löschen wir nicht" -beantwortet wird, als fehlgeschlagener Löschversuch, der künftig zu sperren wäre?

Ich fürchte, für Evaluierungen gilt ein bisschen das, was man auch Statistiken nachsagt: man solle nur denen trauen, die man selbst, sagen wir etwas versöhnlicher, "gestaltet" hat.

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Lieber Herr Joachim,

das ist natürlich derzeit Spekulation, aber ich vermute, dass sich die Politik hier nicht zu sehr festlegen will. Je genauer die Kriterien sind, desto eher würde es ja zu einer Entscheidung des BKA, nicht der Koalitionsrunde. Meine Einschätzung: Nach einem Jahr setzt man sich wieder an einen Tisch und überlegt sich, ob die Sache sich noch lohnt. Gibt es dann etwa einen neuen Trend zu mehr Kinderpornographie, die sich nicht löschen lässt, dann tendiert man eher zur Ausführung des schon existierenden Gesetzes, denkt aber niemand mehr daran bzw. gibt es andere wichtiger erscheinende Themen, dann kann die Sache nur nochmal als Verhandlungsmasse genutzt werden oder sie wird sogar klammheimlich "beerdigt" werden. Was in einem Jahr politisch diskutiert wird, kann man kaum voraussehen. Auch nicht auszuschließen ist, dass man die Sperridee an anderen Stellen wiederbelebt, bei der Urheberrechtsdebatte oder bei der Nazipropaganda.

Soweit meine unausgegorenen Überlegungen,

besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Mittlerweile sickern Einzelheiten durch. Wie ich oben (#3) schon vermutet habe, hat man sich offenbar darauf geeingt, das in Kraft tretende Gesetz einfach nicht auszuführen. Auch dies ist rechtsstaatlich bedenklich (wie Thomas Stadler darlegt), aber bedeutet nicht, dass es sich um eine reine Nebelwerfer-Aktion handele, wie andere schon vermutet haben.

Allerdings wird man, wie auch Christian Rath in der taz anmerkt, auch ein Auge auf die künftigen EU-Regelungen werfen müssen.

"Hier könnte sich die FDP wohl am ehesten durchsetzen. Sie muss dann aber aufpassen, dass die Internetsperren nicht via EU eingeführt werden." (Quelle)

Möglicherweise wird nämlich von der EU eine Sperrverpflichtung kommen, der sich der deutsche Gesetzgeber gar nicht entziehen kann:

Gemeint ist wohl dieser Entwurf eines EU-Rahmenbeschlusses

 Wir hatten dies schon einmal hier im Blog angesprochen.

Thomas Stadler berichtet in Bezugnahme auf das Blog von Alvar Freude von einem "Nichtanwendungserlass" als technische Lösung, die freilich wiederum selbst gewissen rechtsstaatlichen Bedenken begegnen muss. Wundert mich aber überhaupt nicht: Würde man das Gesetz nämlich durch ein weiteres (Aufhebungs-)Gesetz kassieren, so wären die Hürden für eine Wiedereinführung nach – unterstellt unbefriedigender – Evaluation ungleich höher.

Herr Spoenle,

genauso sehe ich das auch: Man hält sich bewusst alle Optionen offen, in dem man das Gesetz (woran sich ja ohnehin nichts mehr ändern lässt) einfach in Kraft treten lässt und es "nicht anwendet". Aber in punkto Gewaltenteilung ist das schon bedenklich. Man stelle sich vor, eine neue Regierung beschließt einfach, die demokratisch beschlossenen Gesetze, die ihr nicht in den Kram passen, nicht mehr anzuwenden, ohne das Parlament noch einmal zu damit zu befassen.

Ernstlich: Da wird man doch glatt noch zum Verfechter des Zugangserschwerungsgesetzes, um hier nicht einen Präzedenzfall zuzulassen, der auch nach künftigen Regierungswechseln wiederholt werden könnte.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Ein vom Parlament beschlossenes Gesetz nicht umzusetzen, wäre nach meiner Kenntnis einmalig in der neuen deutschen Parlamentsgeschichte. Auch H. Schäuble, dem ich vieles zutraue, würde sich dies nicht trauen. Egal welcher (Negativ-) Text ein Erlass des Innenministerium hätte, der Minister wäre vom Grundsatz her rechtlich angreifbar. 

Spannender ist die Frage, ob der Bundespräsident vor dem Hintergrund der "handwerklichen" Fehler, sogar jüngst von H. Schäuble auch öffentlich bestätigt, seine Unterschrift abgibt.   

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