Wieviel sind uns unsere Bürgerrechte noch wert? - Ilija Trojanow/Juli Zeh "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und Abbau bürgerlicher Rechte"

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 06.10.2009

Aktuelle Romane lese ich selten, weil ich mit den "Klassikern" noch nicht durch bin. Aber von Mal zu Mal interessiert mich doch die eine oder andere Neuerscheinung. So habe ich vor einiger Zeit das visionäre und spannende, schnell auf den Bestsellerlisten platzierte Buch von Juli Zeh "Corpus Delicti" gelesen, nachdem mir der Klappentext Appetit gemacht hatte. Die Autorin entwirft das Szenario einer Gesundheitsdiktatur im 21. Jahrhundert, das alle und alles kontrolliert. Gesundheit ist zur höchsten Bürgerpflicht geworden. Der Roman behandelt dabei höchst aktuelle Fragen: Wieweit kann und wird der Staat individuelle Rechte einschränken? Gibt es ein Recht des Einzelnen auf Widerstand?

Klar, dass mich die an "Corpus Delicti" anknüpfende, vor wenigen Monaten erschienene Kampfschrift von Ilija Trojanow/Juli Zeh "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und Abbau bürgerlicher Rechte" interessierte. Auch dieses zornige, ironische und hoch informative Buch, das sich schnell liest, fand mit Recht schnell einen Platz auf den Bestsellerlisten. Vor allem kritisiert es, dass unser Staat unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung immer weiter in unsere Privatsphäre eindringe. Auf diesen wachsenden Zugriff auf persönliche Daten sowie die Kontrolle des Internets wollen die beiden Autoren aufmerksam machen. 

 

Beispielhaft (höchst subjektiv ausgewählt)

 

> Sehr deutlich wird zum "Kampf der Kulturen" herausgearbeitet, dass uns der Terrorismus auf gleiche Weise bedroht wie andere schwere Verbrechen. Bedroht sind schlimmstenfalls Leib und Leben, aber nicht unsere Werte, unsere Gesellschaft, unsere Identität (S. 40).

 

> "Bedrohung ist subjektiv und relativ." "Sicherheit ist keine Tatsache, sondern ein Gefühl" (S. 47).

 

> "Wenn das nächste Mal für eine Erweiterung von Polizeibefugnissen im Anti-Terror-Kampf gestritten wird, achten Sie einmal auf die Argumentationsstrukturen. Es gibt zwei Muster, die sich eigentlich widersprechen, die aber dennoch je nach Sachlage zum Einsatz kommen: Hat die Polizei einen Fahndungserfolg erzielt, wie damals bei der Entlarvung der "Sauerland-Terroristen", so heißt es, der Fall beweise die Notwendigkeit weiterreichender Kompetenzen für die Sicherheitsbehörden - selbst dann, wenn der Erfolg durch den Einsatz von klassischen Polizei- und Geheimdienstmethoden erzielt wurde ... . Liegt kein derart spektakuläres Beispiel vor, dann beweist gerade die Abwesenheit von Erfolgen, dass die Behörden mehr Befugnisse brauchen. Von einer sachlichen Begründung sind beide Argumentationen weit entfernt" (S. 63 f).

 

> "Maßnahmen, die nicht der Verfolgung eines Verdachts, sondern der Verdachtsgewinnung dienen, sind entweder flächendeckend (und damit unverhältnismäßig) - oder nutzlos" (S. 70).

 

> "Streichen Sie die Wendung `Ich habe ja nichts zu verbergen` aus ihrem Wortschatz, denn wer nichts zu verbergen hat, der hat bereits alles verloren. Es ist gut, dass sie etwas zu verbergen haben, und so sollte es auch bleiben. Verteidigen Sie Ihre Geheimnisse, sie gehören Ihnen" (S. 137).

 

Dem politischen Warn- und Weckruf der beiden Autoren wünsche ich noch viele aufmerksame Leser!

 

 PS Die Schrift findet ihre Fortsetzung in dem vor kurzem erschienenen Buch "Rettet die Grundrechte! Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn" von Gerhart Baum (Beispiel: 5. Kapitel "Ich habe ja nichts zu verbergen." Die Preisgabe des Privaten). Zu diesem Buch später, wenn ich es komplett gelesen habe

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7 Kommentare

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Sehr schöner Beitrag,

mir hat das Buch sehr gut gefallen. Erschrocken bin ich jedoch immer wieder über die Tatsache, dass es in weiten Kreisen der Jura-Studenten, wohl wie in breiten Teilen der Öffentlichkeit, keine angemessene Sensibilität für dieses Thema gibt.

Danke im übrigen für den Hinweis auf das Buch von Gerhart Baum, das kannte ich bisher noch nicht, wird gleich morgen besorgt...

Grüße,

Torben.

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Ich war von dem Buch eher enttäuscht. Es enthält nichts weiter als die üblichen Gemeinplätze, man liest dort weder neue Fakten, noch eine neue Bewertung derselben. Gerade von zwei so anerkannten Schriftstellern hätte man ein wenig mehr Einfallsreichtum und Witz erwartet. Ich halte das Buch regelrecht für langweilig und überflüssig. Langweilig vor allem wegen der mangelnden Originalität, aber auch wegen des lahmen Stils. Überflüssig, weil alles, was dort geschrieben steht, schon hundertfach anderswo gesagt worden ist. Intelligente Lösungsvorschläge für eine neue Balance von Freiheit und Sicherheit hatte ich mir erhofft, diese Hoffnung ist bitter enttäuscht worden. Mit dem Buch haben die Autoren weder sich selbst noch der Sache einen Gefallen getan.

Entweder man schreibt eine anständige wissenschaftliche Arbeit zur Problematik oder einen intelligenten und pfiffigen Roman. Dieses Pamphlet aber hat die Welt nicht gebraucht.

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Wieviel sind uns unsere Bürgerrechte noch wert?

Nun, mir waren es dieses Jahr ca. 35,- Euro wert. Soviel kostet ein Jahresbeitrag in der Priratenpartei, der ich inzwischen nach dem grotesken Bericht eines Bloggers über die Berliner Polizei beigetreten bin. Hoffen wir mal, dass sie als Alternative der FDP ausreichend Druck macht, ihr Gebaren aus der Opposition auch in der Regierung weiter zu führen. Ich bin allerdings skeptisch, dass die FDP bei ihren Koalitionsverhandlungen der Bürgerrechtslobby ein größeres Gewicht beimessen wird als der ihrer Sponsoren.

Hier ein interessantes Interview des "Computerclub 2" mit Gerhart Baum.

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Auch wenn das Buch wiederholt, was schon tausedmal gesagt wurde: es wurde offenbar noch nicht oft genugt gesagt. Ich finde insbesondere beeindruckend, dass die Überwachungsmaßnahmen allen Erkenntnissen der Terrorismusforschung zum Trotz ausufern. Es ist doch altbekannt, dass zu den Werkzeugen des Terrorismus gehört, die Bevölkerung und ihre Regierung zu entfremden. Die Terroristen suchen die Regierung dazu zu bringen, den Feind unter ihrer eigenen Bevölkerung zu vermuten und letztere wie einen Feind zu behandeln. So schlimm ist es natürlich in Deutschland nicht, aber eine gewisse Entfremdung ist doch zu beobachten. Zudem schafft Al-Quaida so etwas, das ihr sonst unmöglich wäre: jeden deutschen Bürger mit ihrem Kampf (indirekt) zu treffen.

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@ #2/#4:
Na klar, wer die Debatte aktiv verfolgt, wird in diesem Buch nicht viel "Neues" finden. Dennoch fand ich einige Bilder interessant und unter dem Gesichtspunkt, im Gespräch mit "Uneingeweihten" über dieses Thema zu reden, hält es einige gute Beispiele parat an Hand derer selbst die "Ich habe ja nichts zu verbergen "-Fraktion nachdenklich gestimmt werden könnte.
Das Buch richtet sich, so habe ich es jedenfalls verstanden, eher an die bisher weniger in der Thematik stehenden. Der Schreibstil ist unglaublich gelungen und das ganze ließ sich wunderbar am Stück "durchlesen" ohne wirklich zu langweilen. Daher halte ich das Buch für sehr gelungen.
Wirklich praktisch finde ich, dass das Buch in meinem Freundeskreis einige Runden gemacht hat und ich somit Menschen erreichen konnte, die ich im direkten Gespräch jedenfalls nicht so leicht von der Dringlichkeit dieser Thematik überzeugen konnte. Die beiden Autoren haben, wie ich finde, einen sehr gelungenen Zugang zu der Thematik geschaffen.

Grüße,
Torben.

P.S.: Das Gerhart Baum Buch "Rettet die Grundrechte" gefällt mir im übrigen (bisher ~60 Seiten gelesen) sehr gut, eignet sich aber, im Vergleich zu Trojanov/Zeh, sicherlich nicht ganz so gut für "Außenstehende", ich denke es könnte sie "überfordern". Das soll nicht arrogant wirken, den Zugang findet man sicherlich einfach leichter über etwas lockerere und leichtere Kost. Als "Aufbauliteratur" werde ich jedenfalls, nach dem Trojanov/Zeh-Buch, meinen Freunden den "Baum" ans Herz legen.

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Ein toller Hinweis, schöne Lesung und Besprechung.

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