Nach dem Angriff auf die Schule in Ansbach - es ist an der Zeit, die Medienberichterstattung einzuschränken

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 25.09.2009

Am 20. März, nach dem Ereignis von Winnenden, habe ich hier im blog den Vorschlag gemacht, künftig den Medien eine identifizierende Berichterstattung zu Schulamoktaten zu untersagen. Hier mein damaliger Vorschlag im Wortlaut:

"Ich möchte, wider alle Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung, einen anderen Vorschlag machen, nämlich ein Schulamokveröffentlichungsgesetz. Dieses Gesetz sollte folgenden Inhalt haben:

Im Zusammenhang mit einer (gesetzlich näher zu definierenden) Amok-Tat ist bei Androhung eines Bußgelds für den Verleger/Herausgeber/Content-Verantwortlichen und Androhung einer Strafe für den Autor/Redakteur/presserechtlich Verantwortlichen 10 Jahre nach der Tat bzw. nach Verbüßung einer wegen der Tat verhängten Strafe verboten, den Namen (auch in abgekürzter Form) und Bilder des Täters oder personenbezogene Angaben, die unmittelbar zu dessen Identifizierung führen, in irgendeiner Form zu publizieren.

Begründung: Es ist eine wesentliche Motivation für solche Taten, als (negativer) Held zu erscheinen. Bei den Tätern handelt es sich meist um männl. Personen, die sich für gescheitert halten und für sich selbst keine Erfolgschance im Leben erkennen. Sie sehen ihre Tat (und zwar durchaus realistisch!) als einzige Chance an, sich in ihrem Suizid „unsterblich" zu machen. Selbst ein Gewinn bei DSDS oder bei Wer wird Millionär kann diesen „Ruhm" nicht toppen. Alle bisherigen Taten zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Täter mit früheren solchen Vorgängen identifiziert haben. Sie streben zum Teil an, frühere Täter zu übertreffen.

Es sollte daher durch das Schulamokveröffentlichungsgesetz der ernsthafte Versuch gemacht werden, durch eine beschränkte Nachrichtensperre (hinsichtlich der Täteridentität, s.o.)  diese Ursachenkette abzureißen und die Motivation, als Individuum wegen einer solchen Tat besonders herausgestellt zu werden, zu minimieren."

In der hiesigen Diskussion stieß mein Vorschlag zunächst auf vehemente Ablehnung, dann jedoch wurde er zunehmend positiv kommentiert.

Allerdings gingen schon damals auch einige andere gewichtige Stimmen von denselben Voraussetzungen aus und forderten eine andere Medienberichterstattung:

Die trauernden Angehörigen von Winnenden forderten (neben anderem) ebenfalls eine Einschränkung der Berichterstattung:

"Auf nahezu jeder Titelseite finden wir Namen und Bild des Attentäters. Diese werden Einzug finden in unzählige Chatrooms und Internet-Foren. Eine Heroisierung des Täters ist die Folge", hieß es in den Schreiben. Die Unterzeichner forderten, dass bei Gewaltexzessen wie in Winnenden die Medien dazu verpflichtet werden müssen, den Täter zu anonymisieren. "Dies ist eine zentrale Komponente zur Verhinderung von Nachahmungstaten." (Quelle)

Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Joachim Kersten (Deutsche Hochschule der Polizei) in einem Live-Telefonbeitrag bei ntv am Tag des Vorfalls von Winnenden:

"Was ich Ihnen sagen kann mit Sicherheit ist, dass wenn man soclhe Bilder sieht, wie sie heute kursiert sind, auch in den deutschen Medien von dem Amoklauf in Alabama (...) und sehe, wie stark jemand rauskommt, mit soundsoviel Toten, und [angenommen] ich bin an der Grenze, mir zu überlegen, ob ich sowas auch tue, dann ist sowas eher bestärkend (...) das ist für Leute, die steil rauskommen wollen mit so einer Tat, da gibt es kein besseres Material. [Der Nachahmungseffekt] ist durch die Medien verursacht und sonst gar nichts (...) die kommentarlose zur Verfügungstellung möglichst dramatischer Bilder ist für so nen Täter das, was ihn über die Grenze bringt und ihn dann zur Tat veranlasst." (Quelle)

Weniger konkret, aber immerhin tendenziell ähnlich lautete ein Vorschlag der SPD-Fraktion, der aber wohl recht schnell wieder einegemottet wurde. Ein konkreter Gesetzesvorschlag wurde jedenfalls nicht bekannt.

Inzwischen, nach einem weiteren solchen Fall und ganz ähnlicher Berichtersttatung, melden sich weitere Experten  mit ähnlichen Einschätzungen und Vorschlägen zu Wort:

Der Psychologe Dr. Jens Hoffmann (dessen andere Positionen ich hier kritisiert habe):

"Die Berichterstattung über Amokläufe verweise potenzielle neue Täter auf die Möglichkeit, durch ein ähnliches Verbrechen berühmt zu werden. Das heiße zwar nicht notwendigerweise, dass die Berichterstattung den neuen Täter erst auf die Idee für einen Amoklauf bringe. Möglicherweise aber werde er durch die Berichterstattung dazu bewegt, "letzte Schritte" hin zur Tat zu unternehmen. Deswegen sei es wichtig, dass die Berichterstattung auf Namen oder Fotos des Täters verzichte. "Sonst ist die Nachricht: 'Du bist unsterblich, wenn du andere Leute umbringst'", sagte der unter anderem auf "Bedrohungsmanagement" spezialisierte Psychologe." (Quelle)

Der Psychiater Prof. Dr. Armin Schmidtke:

"Der Psychiatrie-Professor Armin Schmidtke von der Universität Würzburg sah bei der Vorbeugung vor allem die Medien in der Pflicht. Durch umfangreiche Berichterstattung könnten sich mögliche Nachahmungstäter in ihrem Vorhaben bestätigt fühlen. «Über die Hälfte der Amoktaten findet statt in einem Zeitraum von zehn Tagen nach einer anderen Amoktat», sagte er. «Es besteht die Gefahr, dass durch exzessive Medienberichterstattung ein Amok-Suizid-Klima erzeugt wird.» Die Medien müssten darauf achten, keine Anreize für eine solche Bluttat zu schaffen. Weil die meisten Amokläufer eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hätten, könne eine großangelegte Berichterstattung über die Tat selbst oder eine «inadäquate Trauerkultur» weitere Taten provozieren. «Die denken dann: Wenn schon der Bundespräsident kommt bei der Feier, dann mach ich das auch.»"(Quelle)

Die kaum veränderte Berichterstattung zum Schulamokfall in Ansbach belegt, dass die Annahme, die Presse werde sich selbst beschränken, naiv ist. Vielmehr: Die Selbstbeschränkung der einen führt zum Gewinn der anderen, die sich, wie Herr Diekmann (Bild), hieran nicht gebunden fühlen.

Da die verbreiteten Medien, insbesondere  die Boulevardmedien (zu denen in diesem Fall auch Spiegel-Online und diverse Privatfernsehsender zählen) naturgemäß wenig Interesse an einer solchen Beschränkung haben und dies entsprechend weniger stark verbreiten, möchte ich mit diesem Beitrag noch einmal auf dieses meines Erachtens wichtige Anliegen der Prävention hinweisen.

Bitte nennen Sie mir ggf. in den Kommentaren weitere Stimmen. Möglicherweise kann daraus ja ein Bündel von Expertenmeinungen entstehen, das man dem neu gewählten Bundestag zusenden kann.

 

Nebenbei: Dass die Ermittlungsbehörden in einer angekündigten Pressekonferenz aus den Tagebüchern und Dateien eines Beschuldigten und damit aus den sichergestellten Beweismittlen (deren Zulässigkeit im Übrigen erst noch abgewogen werden muss) zitieren, halte ich für juristisch fragwürdig und für eine völlig unangemessene Befriedigung von Sensationslust.(Quelle)

 

 

 

 

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6 Kommentare

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Mahlzeit!

 

Abgesehen von der Gefahr, dass keine sozialen Bezüge mehr hergestellt werden könnten in der Presse und das Internet ohnehin solche Geheimniskrämerei verhindert:

 

Amok-Täter wollen vielleicht auch weltweit berühmt werden. Aber die eigentliche Antriebsfeder ist die Ohnmacht innerhalb ihres sozialen Umfelds. Sie wollen den Leuten, die sie in ihrer Entfaltung hindern, mal so richtig zeigen, dass doch viel mehr in ihnen steckt, als die Gesellschaft sie zeigen lässt.

Dem folgend dürfte die Berühmtheit innerhalb des sozialen Umfelds und der Stadt völlig ausreichen als Anreiz.

 

Meiner Meinung nach ist dieser - in meinen Augen sinnlose - Ansatz auch eher anders entstanden (mit Verlaub):

Der erste Gedanke war wohl, dass man Nachahmungen verhindern wollte. Das ginge hervorragend über eine Art "Nachrichtensperre" über Amoktaten. Darauf folgte der Gedanke eines jeden (Juristen), dass das schon ein herber Eingriff in die Pressegrundrechte wäre und wohl kaum zu verwirklichen. Also sucht man nach weniger starken Eingriffen und kommt auf diverse Variationen des hier beschriebenen Ansatzes, der vielleicht sogar grundrechtlich zu rechtfertigen wäre.

 

Nur ist er jetzt aus meiner Sicht gar nicht mehr geeignet, etwas zu verbessern:

a) Nachahmungen sind nach wie vor möglich

b) das Thema bleibt "en vogue", so dass gefährdeten Personen diese Option im Blick bleibt

c) und an der eigentlichen Motivation ändert es nichts (meine These aus dem Eingangsabsatz als richtig unterstellt).

 

Gruß

 

Der Hans

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Sehr geehrter Herr Hans,

Sie sagen: "Amok-Täter wollen vielleicht auch weltweit berühmt werden. Aber die eigentliche Antriebsfeder ist die Ohnmacht innerhalb ihres sozialen Umfelds. Sie wollen den Leuten, die sie in ihrer Entfaltung hindern, mal so richtig zeigen, dass doch viel mehr in ihnen steckt, als die Gesellschaft sie zeigen lässt."

Ihre Ansicht steht durchaus im Einklang mit meiner. Sicherlich ist die von Ihnen geschilderte "Antriebsfeder" ein Motiv, das bei vielen Amok-Tätern gegeben ist. Es ist aber zugleich ein Motiv, das auch bei vielen anderen Jugendlichen existiert, die dennoch keine solche Tat begehen. Das Gefühl  des Unverstandensein, der Ohnmacht oder die Suche nach Anerkennung steckt in jedem Jugendlichen, möglicherweise in jedem Menschen von Zeit zu Zeit. Meine Auffassung ist, dass die relative Häufung gerade der spezifischen und besonders  schädlichen Reaktion - Angriff auf die Schule - in der jüngeren Zeit (auch) eine  Folge der Aufmerksamskeitssucht ist und nicht zu geringem Anteil auf Nachahmungseffekten beruht.

Zu Ihren anderen Einwänden habe ich zum Teil schon in der ersten Diskussion Stellung genommen.

Möglicherweise ist es schon zu spät (habe ich auch schon vor einem halben Jahr geschrieben), aber ich halte den Ansatz für einen Versuch wert, der leicht umzusetzen und besser geeignet ist, als viele andere Vorschläge.Der Einwand "Internet" ist m.E. nicht treffend, weil es bei der Nachahmung um die Popularität nicht nur auf anonymen Seiten oder kleinen Chat-Seiten geht, sondern um die Popularität in großen anerkannten Portalen, die natürlich auch an die Gesetzgebung gebunden wären. Es geht eben nicht um eine Geheimhaltungsmaßnahme.

Die Anonymisierung der Person nimmt jedenfalls der Nachahmungsmotivation die Spitze. Dass von der Öffentlichkeit "keine sozialen Bezüge merh hergestellt werden könnten" halte ich nicht für eine "Gefahr". 

 

Mit bestem Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ich habe dabei noch einen ganz anderen Gedanken: Wenn der Täter aus der Berichterstattung weitgehend herausgehalten wird, werden die Schilderungen der Opfer dennoch ihren Weg in die Presse finden.

Jedoch wird sich die Gewichtung der Opferdarstellungen und deren Gefühle während der Tat sicherlich verstärkt in den Medienberichten wiederfinden, als dies zuvor geschehen ist. Wenn über die Täterperson weniger berichtet wird, und dafür halte ich Ihren Ansatz sehr nützlich, dann entsteht mehr Mitgefühl mit den Opfern bei den Lesern und aufgrund dessen werden sich vielleicht auch keine weiteren Nachahmer veranlasst fühlen, ähnliches zu planen - denn dies hilft ihrer Situation nicht. Ganz im Gegenteil, vielleicht entsteht statt Berühmtheit des Täters der Ruhm von Opfern oder nur am Rande Betroffenen, die besonders eindrücklich schildern konnten, was geschah - und damit in der Bekanntheit steigen.

Ich finde den Vorschlag daher vielversprechen - er verhindert auch, dass das Umfeld des Täters, seine Familie und sein Verhalten in Schule und Freizeit weiter ausgeleuchtet wird. Ich hoffe, es findet eine weitere Diskussion über diese Möglichkeit statt.

Allerdings möchte ich dabei bewusst an Winnenden erinnern, wo Kamerateams gezielt auf Jugendliche gewartet haben, die auch pflichtschuldigst ein paar Tränchen vor der Kamera herausquetschten. Die tatsächlich traumatisierten Opfer konnten meist kein befriedigendes Medienfutter bieten.

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Auch an anderer Stelle macht man sich Gedanken über die Berichterstattung - zwar nicht zum hiesigen Anlassthema und auch mit anderen Konsequenzen, aber ich halte ein Nachdenken über die win-win-Situation zwischen Gewalttaten und Presse für angemessen:
http://carta.info/21368/komplizen-die-medien-und-der-terror/

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