Öffentliche Video-Fahndung des BKA: Erfolg oder Panne? (Antwort: Panne!)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 16.09.2009

Die gestern gestartete Videofahndung nach einem Verdächtigen, der Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht haben soll, hat laut Pressemeldungen von heute Nachmittag zu einem schnellen Erfolg geführt. Der Mann wurde angeblich eindeutig identifiziert und festgenommen.

Aber:

Erstens: Das Video stammt von 1993, d.h. die in dem Video dargestellten Taten sind möglicherweise schon verjährt (§ 78 Abs.3 Nr.3 StGB).  Gibt es  tatsächliche Anhaltspunkte für die spekulative Vermutung der Staatsanwaltschaft Gießen, der  Mann habe auch danach noch Straftaten begangen? Möglicherweise § 184 b StGB? Aber dass solche Videos auch Jahrzehnte später noch kursieren, bedeutet nicht, dass der Täter selbst sie immer noch in Umlauf bringt. Zumal allein für diesen Vorwurf eine Öffentlichkeitsfahndung wohl nicht verhältnismäßig wäre.

Zweitens: Laut einer Meldung von heute Nachmittag um 15.00 Uhr ist der Mann schon 1994 verurteilt und wegen dieser Tat in der Forensischen Psychiatrie untergebracht worden. Stimmt das, woran man aber wegen der Quelle (Bild-Zeitung) noch zweifeln kann (alle anderen Presseorgane melden derzeit (16.00 Uhr) noch einen Erfolg der Fahndung), wäre das schnelle Fahndungsergebnis tatsächlich kein Erfolg mehr, sondern eher eine Panne (via lawblog)

 (Update. Nun melden es auch andere Medien: BKA und StA Gießen haben hier offenbar einen großen Bock geschossen!)

 Link zum Blogbeitrag (Prof. Dr. v. Heintschel-Heinegg) zur früheren BKA-Fahndung nach einem Sexualstraftäter.

 

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Von AFP wurde die Meldung bestätigt:

Rostock — Die Öffentlichkeitsfahndung der Polizei nach einem Kinderschänder hat offenbar auf einem Irrtum beruht: Zwar nahmen die Ermittler nach Angaben der Bundeskriminalamts (BKA) in der Nacht den Gesuchten in Mecklenburg-Vorpommern fest, der 66-Jährige war jedoch bereits 1994 für die per Video aufgenommenen Taten verurteilt worden, wie der Rostocker Oberstaatsanwalt Peter Lückemann sagte. Er bestätigte damit einen entsprechenden Bericht von bild.de.

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Nun heißt es zur Entlastung der Fahnder (bei Spiegel-Online): "Wie sich herausstellte, war der Mann unter anderem wegen dieses Videos bereits 1994 rechtskräftig verurteilt worden. Neue Straftaten lägen definitiv nicht vor, sagte der Sprecher der Rostocker Staatsanwaltschaft, Peter Lückemann, am Mittwoch. Dies habe aber zu dem Zeitpunkt keiner der Ermittler wissen können." und "Das Material, das die Fahndung ausgelöst hatte, war nach Angaben des Staatsanwalts auf einem nicht näher bezeichneten Computer in Erfurt aufgetaucht. Es sei vom BKA völlig korrekt gewesen, die Fahndung einzuleiten."

Ich bin ehrlich gesagt mit dieser Wertung nicht ganz einverstanden. Bei irgendeinem Pädophilen wird auf dem Computer ein kinderpornographischer Film gefunden, auf dem auch das Gesicht des mutmaßlichen Täters zu sehen ist. Laut Videodatum ist der Film 16 Jahre alt. Gestern hieß es noch:

"Nachdem alle bisherigen Fahndungsmethoden nicht zur Identifizierung eines Verdächtigen geführt haben, entschied sich das BKA auf Antrag der Staatsanwaltschaft Gießen nun zu einer Öffentlichkeitsfahndung. Die Ermittler erhoffen sich Hinweise aus der Bevölkerung auf den Gesuchten."(Quelle)

Wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht und man kann nur hoffen, dass im Umfeld des gestern noch Verdächtigten nicht alles Porzellan zerschlagen wurde. Aber eine kritische Nachfrage sei erlaubt: Zu den bisherigen Fahndungsmethoden gehörte also offenbar nicht die Herbeizeihung der Akten bzw. ein Datenabgleich mit eventuell wegen Tatzeit im Jahr 1993 (Videodatum) verurteilten Tätern oder die Ermittlung danach, ob dieses Video schon einmal in einem Strafverfahren Verwendung gefunden hat? Soll das heißen, dass jeder längst verurteilte Täter noch Jahrzehnte nach der Tat damit rechnen muss, dass sein Abbild durch alle Medien verbreitet wird und zwar als aktuell verdächtiger und gefährlicher "Kinderschänder"? Tatsächliche Anhaltspunkte für eine aktuelle Tat dieses Mannes gab es nicht. War die einleitung der Fahndung wirklich "völlig korrekt"? Hätte hier die StA Gießen nicht etwas kritischer prüfen sollen?

Jedenfalls wird durch eine solche "Panne" das Vertrauen in das BKA und die StA nicht gerade gestärkt.

Mindestens ebenso peinlich ist die Reaktion des online-portals der WAZ-Mediengruppe, der westen. Dort wird unter dem Titel "Kinderschänder mit den eigenen Waffen schlagen" die BKA-Fahndung trotz der Panne ausdrücklich gelobt:

"Trotz alledem beweist dieser Fall einmal mehr, dass die Strategie aufgeht. Die Öffentlichkeitsfahndung hat nach Auskunft der Staatsanwaltschaft in Rostock großen Erfolg"

 

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