LG Limburg: Richterliche mündliche Blutprobenanordnung nachts binnen einer Viertelstunde ist unseriös und wahrt Richtervorbehalt nur formal

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 13.09.2009

Über die Blutprobenentnahme habe ich im Blog bereits mehrfach berichtet. Das Thema ist aufgrund der fortschreitenden Entwicklung der Rechtsprechung immer für interessante Entscheidungen gut. Bei strafrecht-online habe ich nun LG Limburg, Beschl. v. 04.08.2009 - 2 Qs 30/09 gefunden. Es ging um eine vorläufige Fahrerlaubnisentziehung durch das AG. Das LG hat zum einen keine Probleme damit gehabt, dass das AG nachts keinen Eildienst hatte:

...Vielmehr ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Diesen Anforderungen genügt der beim Amtsgericht L. eingerichtete Eil- und Not-dienst, denn ein Ermittlungsrichter war bis um 21.00 Uhr des Vortages, einem Samstag, und wieder ab 4.00 Uhr des Tattages, einem Sonntag, erreichbar. Dass der Direktor des Amtsgerichts für die Einrichtung eines Eildienstes zur Nachtzeit – anders als die Justiz der Großstadt Berlin (vgl. LG Berlin Beschl.v. 23.4.2008 – iuris) – keinen praktischen Bedarf sieht, ist nicht zu beanstanden....

Und dann noch zu der Möglichkeit einer mündlichen Anordnung der Blutprobe:

...Einer solchen Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das LG Hamburg (LG Hamburg, Beschl.v. 12.11.2007) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage schlicht als „unzumutbar“ angesehen. Zu Recht verweisen die Richter des Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem verschieben sich Verantwortlichkeiten. Mit der von den Ermittlungsbehörden zu fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten – nachvollziehbar ist.

Eine Verpflichtung zur mündlichen Entscheidung besteht nicht. Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen. Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal. ....

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7 Kommentare

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Irgendwo habe ich gehört, dass für die Bearbeitung einer Anordung einer Hausdurchsuchung im Schnitt 35 Minuten benötigt werden, da regt sich niemand auf (ausser die Betroffenen, die ihrer Privatsphäre nachtrauern). Insofern sind auch 15minuten nicht abwegig. Insbesondere wo die Gründe ja meistens standardisiert sein können, wie "Riecht nach Alkohol", "Lallt", "Fährt Schlangenlinien", "rote Augen", "Hat Bierdose im Becherhalter" etc. Der Vortrag des Polizisten kann ja auf Tonband aufgenommen werden und nachträglich abgeschrieben werden.

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Sie werden ja auch richterlicher Erfahrung bestimmt selbst berichten können, wie lange Sie sich im Schnitt mit einer einfachen Anordnung - HD, BAK usw. - befassen müssen. Ab wann wird die Anordnung denn ernst und keine Farce mehr?

Ansonsten muss man einfach sagen, dass die Entscheidung einfach schlecht begründet ist. Wenn es dem Richter grundsätzlich gestattet ist, im Rahmen einer mündlichen Anfrage eine mündliche Anordnung zu entlassen, dann ist die Verweigerung desselben eine Ablehnung des polizeilichen Gesuchs. Der Richter hatte die Möglichkeit zur Entscheidung und hat sich dagegen entschieden. Die allgemeine Verweigerung ist mE Rechtsbeugung und Verweigerung rechtlichen Gehörs.

Die Aufnahme von Anordnungersuchen wurde bereits mehrfach vorgebracht, ohne dass dagegen selbst ernsthafte Argumente vorgebracht werden konnten... außer den Kosten.

Es geht nicht um die Zeit, die der Richter zum Überlegen braucht. Auf den Vortrag eines Polizisten: Ich habe hier jemanden, der ist gerade eben von mir beobachtet worden, wie er auf der X-Str. Schlangenlinien gefahren ist. Nach dem Anhalten war Alkoholgeruch wahrzunehmen. Einer Bestimmung der AAK stimmt er nicht zu. Ebensowenig einer Blutprobe. Wird eine Blutprobe angeordnet? braucht niemand ernsthaft Zeit zum Nachdenken.

Es geht vielmehr um die Dokumentation des Ganzen und die Frage, was Entscheidungsgrundlage ist, soll nicht alles im Ungefähren bleiben. Und hier ist eine schriftliche Dokumentation unumgänglich. Wie das gehandhabt wird, darüber kann man reden. Bote, Fax oder E-Mail kämen hier in Betracht; am schnellsten wäre wohl E-Mail.

Gerade in Grenzfällen, in denen die richterliche Entscheidung besonders wichtig ist, führt die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes zur Entwertung der Entscheidung. Dann kann man auch ganz darauf verzichten, wenn hinterher nicht mehr genau nachzuvollziehen ist, was genau erwogen worden ist. Was hilft es, wenn in der Akte steht: Auf Anruf und Darstellung des Sachverhaltes hat RAG Xy der Blutprobenentnahme zugestimmt?

Dass eine Nichtentscheidung auf Grund eines bloßen Anrufs Rechtsbeugung darstellte, ist vor diesem Hintergrund abwegig. Ich stehe nicht in der Gefahr dergleichen Anrufe zu bekommen. Aber wenn, würde ich auf solch einen Anruf lediglich erwidern: Das hört sich so an, als könnte hier eine Anordnung ergehen. Jetzt schicken sie mir das noch schriftlich, dann werde ich entscheiden. Etwas misslich ist bei dem Ganzen, dass gerade diejenigen, die nie in Gefahr kommen, telefonisch entscheiden zu sollen (z.B. OLG Hamm usw.), anderen aufzwingen, dies zu tun. Ich halte dies für unverantwortlich.

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Das ist ja wohl die zynischste Unterwanderung des Richtervorbehalts, die mir bisher untergekommen ist. Der Vorbehalt gilt also nur so weit, wie auch ein Richter erreichbar ist, anderenfalls eben nicht. Ergo: Zur Nachtzeit brauchen Polizeibeamte nicht einmal zu versuchen, einen Richter oder notfalls Staatsanwalt zu erreichen.

Das OLG Hamm sieht die Sache bekanntlich deutlich kritischer.

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@AnotherOne:

Nicht die einmalige Verweigerung ist Rechtsbeugung. Da verweigert er lediglich die Anordnung, die er hätte erlassen können. Die Rechtsbeugung oder zumimdest die Verweigerung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn der Richter allgemein die Verweigerung einer mündlichen Entscheidung postuliert und damit eben keine Einzelfallentscheidung mehr trifft.

Die Dokumentation ist mit speziellen "Anordnungstelefonanschlüssen", die über eine automatische Aufnahmefunktion verfügen, sichergestellt. Wahlweise kann auch die Polizei mit elektronischen Medien unmittelbar eine E-Mail mit Sachverhalt und Anordnungsersuchen schicken. Beides liegt im Bereich des Möglichen und Finanzierbaren - nur nicht im Interesse der Polizei.

Dem Landgericht Limburg ist im Ergebnis zuzustimmen. Der in § 81 a StPO vorgesehene Richtervorbehalt artet zu einer reinen Formalie aus, wenn ein Richter nachts aus dem Schlaf gerissen wird und auf telefonischen Vortrag eines Polizeibeamten die Anordnung auf Entnahme einer Blutprobe treffen soll. Es war über lange Zeit übliche Praxis, dass der Polizeibeamte vor Ort diese Anordnung getroffen hat. Erst das BVerfG hat diese langjährige Praxis gestoppt und zu Recht auf den einfach-gesetzlichen Richtervorbehalt in § 81 a StPO hingewiesen. Sofern in schwerwiegender Weise in die Gesundheit des Beschuldigten eingegriffen wird, sollte dies grundsätzlich auch nur auf richterliche Anordnung hin geschehen. Aber bei geringfügigen Eingriffen wie einer Blutentnahme sollte der Gesetzgeber in § 81 a StPO eine Ausnahme vom Richtervorbehalt vorsehen. In anderen Vorschriften (z.B. § 46 Abs. 4 OWiG) hat der Gesetzgeber die Entnahme einer Blutprobe als geringfügigen Eingriff angesehen. Mit einer solchen Ausnahmeregelung würde auch der Richtervorbehalt wieder aufgewertet und die richterliche Entscheidung nicht zur bloßen Formsache herabgestuft. Ggf. könnte man gegen die Maßnahme der Polizei eine nachträgliche richterliche Entscheidung vorsehen.

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