159 km/h auf Bundesstraße - Einlassung eines "Nofalls" zog nicht!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.09.2009

Das OLG Hamm hat mit Bschluss vom 4.3.2009 - 4 Ss OWi 123/09 auf Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ein Urteil eines Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, in der eine Gynäkologin mit sage und schreibe 159 km/h auf einer Bundesstraße unterwegs war. Ihre Ausrede Einlassung: Sie habe eine Nachricht erhalten, "ihrem pflegebedürftigen Vater sei etwas passiert". Zudem sah das AG fahrverbotsrelevante Härten und sah dementsprechend vom (Regel-)Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG ab. Das OLG in seiner Entscheidung dazu:

"...Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung zu glauben. Entlastende Angaben des Betroffenen, der sich auf das Vorliegen einer persönlichen Ausnahmesituation beruft und regelmäßig ein großes Interesse daran haben wird, der Verhängung eines Fahrverbotes zu entgehen, dürfen jedoch nicht ohne weitere Prüfung hingenommen werden; ggf. muss darüber Beweis erhoben werden (ständige Rechtsprechung des Senats).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es lässt hinreichend konkrete und für das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbare Feststellungen zu Umständen, welche ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen könnten, vermissen und beschränkt sich auf die Wiedergabe der unkritisch hingenommenen Einlassung der Betroffenen dazu.
Das gilt sowohl für die Einlassung der Betroffenen, Grund für die Geschwindigkeitsüberschreitung sei die Nachricht gewesen, "ihrem pflegebedürftigen Vater sei etwas passiert". Die Richtigkeit dieser ungeprüft entgegen genommenen vagen Angabe unterstellt, hätte es für die Betroffene nahe gelegen, den Pflegedienst, soweit vorhanden, oder einen Notarzt zu benachrichtigen. Jedenfalls rechtfertigt die angebliche Notlage eines Dritten, über deren Dringlichkeit sich das amtsgerichtliche Urteil ausschweigt, keine Fahrt mit einer Geschwindigkeit von 159 km/h tagsüber auf einer Bundesstraße, wodurch Leib und Leben der Betroffenen und unbeteiligter Dritter erheblich gefährdet werden.
Soweit sich die Betroffene auf berufliche Notwendigkeiten berufen hat, die der Verhängung des Fahrverbotes entgegen stehen sollen, hat das Amtsgericht auch dieses Vorbringen kritiklos hingenommen. Zum einen ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen für den Fall eines einmonatigen Fahrverbotes auch nur tangiert ist. Ihre tägliche Berufsausübung als Gynäkologin ist auch ohne den Einsatz eines Fahrzeugs uneingeschränkt möglich. Die angeblich anfallenden Notdienste lassen sich auch anderweitig, etwa durch den Einsatz eines Fahrers, eines Taxis, eines Aushilfsfahrers oder im Wege der Absprache mit Kollegen durchführen. Notfalls muss der Patient den Notarzt benachrichtigen.
Im Sinne des Gleichbehandlungsgebotes ist es nicht hinnehmbar, gewissen Berufsgruppen, ohne dass gravierende wirtschaftliche Nachteile oder gar eine Existenzgefährdung drohen, ein überaus lästiges, daher aber verkehrserzieherisch wirksames Fahrverbot gegen einen Bußgeldaufschlag von gerade einmal 75,- Euro zu ersparen...."

 

Für Leser die nicht gleich bei Eigenwerbung im Blog zusammenzucken:

In meinem Buch Fahrverbot in Bußgeldsachen, 1. Aufl. 2006 findet man zu notstandsähnlichen Situationen und den hiermit in der Regel in Zusammenhang stehenden Irrtümern eine ausführliche Darstellung in § 5 Rn. 70 ff. Zum Absehen vom Regelfahrverbot wegen beruflicher Härten empfehle ich meinen Beitrag hierzu in DAR 2009, 416.

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5 Kommentare

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Das OLG geht davon aus, dass Leute "vernümftig" handeln sollen. Meine private Erfahrung ist dass Leute mit schwachen Nerven erst in Panik geraten und viel später nachdenken. Panik und Angst entstehen sogar viel mehr, wenn die Bedrohung unklar ist, hier: "ihrem pflegebedürftigen Vater sei etwas passiert" ohne Details - die Dame hoffte natürlich noch, irgendetwas tun zu können.

(Wobei 159 km/h auf einer deutschen Landstrasse wirklich eine fahrtechnische Leistung ist, unglaublich dass es keinen Unfall gab)

 

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Das OLG statuiert quasi eine Pflicht des erstinstanzlichen Richters zum Mißtrauen. Gegebenenfalls  hätte es ihm genügt, wenn das Amtsgericht Beweis darüber erhoben hätte, ob der Vater a) tatsächlich pflegebedürftig ist und b) ihm tatsächlich etwas passiert ist. Unter Umständen war das dem Amtsgericht aber glaubhaft und es hat nur nicht ins Urteil reingeschrieben weshalb.

Davon abgesehen: 159 km/h auf der Landstraße ist nicht einmal eine fahrtechnische Leistung, sondern nur unverantwortlich.

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@Tilman:

Gerade von Medizinern erwarte ich, dass die bei Notfällen auch mal eher in der Lage sind, die Ruhe zu bewahren...

@Cledrera:

Nö. Das OLG statuiert eher eine Pflicht des Amtsrichters, sich zum einen seines hoffentlich noch gesunden Menschenverstandes zu bedienen und außerdem durch eine zumindest in Ansätzen nachvollziehbare Begründung einer von der Regelfolge - dem einmonatigen Fahrverbot - abweichenden Entscheidung das Vertrauen der Allgemeinheit in die Gleichbehandlung eines jeden durch die Justiz nicht unnötig zu beschädigen.

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mit sage und schreibe 159 km/h auf einer Bundesstraße unterwegs war

In dubio: Es war eine gut ausgebaute, vierspurige und zur Tatzeit wenig befahrene Bundesstraße mit einem Randstreifen durch eine übersichtliche flache Landschaft. Oder?

Gäbe es so eine empörte Reklamation ("unveranwortlich", "unglaublich") auch, wenn jemand mit 48 km/h durch eine Tempo-30-Zone gefahren ist? Oder mit 16 km/h durch eine verkehrsberuhigte Zone? In beiden Beispiels-Fällen wurde das Limit auch "nur" um 59% überschritten. :-)

@Herr Hoenig:

Sie vergessen irgendwie zu erwähnen, dass der Reaktions- und Bremsweg jedoch nicht linear ansteigt... ;-)

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