Nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit: Fristlose Kündigung wegen "Stromdiebstahls" im Wert von unter 1 Cent

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 03.08.2009

Weil er den Akku seines privaten Mobiltelefons im Betrieb aufgeladen hat, ist einem Arbeitnehmer nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt worden. Das berichtete RP-Online am vergangenen Freitag. Der Schaden soll sich auf 0,014 Cent (= 0,00014 Euro) belaufen.

Der Arbeitgeber hat neben der fristlosen Kündigung gleich auch noch ein Hausverbot ausgesprochen. Er hält den "Stromdiebstahl" für eine Straftat, was im Hinblick auf § 248c StGB jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint. Diebstahl, § 242 StGB, scheitert dagegen daran, dass Strom keine Sache ist. Die Annahme des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe mit seinem Verhalten einen "wichtigen Grund" für die außerordentliche Kündigung i.S. von § 626 Abs. 1 BGB geschaffen, dürfte allerdings kaum zutreffend sein.

Die Güteverhandlung vor dem ArbG Oberhausen blieb am 14.7.2009 ohne Erfolg. Kammertermin ist auf den 29.10.2009 anberaumt (4 Ca 1228/09).

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25 Kommentare

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Man denke an die Folgen.  Ruft ein Chef den Angestellten auf dem privaten Handy an, um dienstliche Dinge zu erörtern, können dies Arbeitnehmer künftig ihrem Arbeitgeber in Rechnung stellen. Schließlich wird dabei privat geladener und bezahlter Strom für die Firma verbraucht.

Liebe Arbeitgeber: Wann ist die Grenze erreicht? Wenn ein Wasseranschluss in der Firma zum privaten Händewaschen benutzt wird, ohne vorher zu fragen? Private Büropflanzen mit Firmenwasser gegossen werden? Eine private Notiz mit einem firmeneigenen Bleistift gemacht wird? Von der betrieblichen Luftreinhaltungsanlage gereinigte Luft privat eingeatmet wird?

Bei der Bestimmung der Grenzen ist auch wesentlich, was die Kündigung eigentlich bewirken soll. Ich sehe drei Alternativen:

1. Das Vertrauensverhältnis ist tatsächlich nachhaltig geschädigt, eben weil gilt: Wer im Kleinen nicht treu ist, auf den ist auch sonst kein Verlass. Mir gefällt diese biblische Rhetorik an dieser Stelle nicht, aber sie ist nach den gesetzgeberischen Wertungen zu § 626 BGB vollends legitim.

2. Der Arbeitgeber nutzt einen Vorfall, um einen unliebsamen AN loszuwerden. Nach meinem Dafürhalten ist dies sehr oft der Fall. In diesem Fall ist der Tatbestand des wichtigen Grundes nicht erfüllt. Der AN hat aber Schwierigkeiten, den Rechtsmissbrauch des AG zu beweisen.

3. Der Arbeitgeber fürchtet sich, dass nur eine "Null Tolranz" Politik ein akzeptables Verhalten der Belegschaft sichert. Damit geht es um Generalprävention. Es ist sehr fraglich, ob der einzelne AN instrumentalisiert werden darf, um künftige Gesetzestreue der übrigen Belegschaft zu sichern.

Sollten also die Gerichte nicht viel gründlicher prüfenl, was WIRKLICH hinter einer Kündigung in den Fälle  a la "Emmely" steckt?

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@ Prof. Rolfs: Die Argumentation zu § 248c StGB greift wohl zu kurz. Ob ein Leiter zur ordnungsgemäßen Entnahme bestimmt ist, richtet sich wohl nach dem Willen des Berechtigten. Deshalb macht sich im Repetitoriumsfall strafbar, wer seinen eigenen Tauchsieder beim Nachbarn einsteckt, nicht aber der, der den schon angeschlossenen Tauchsieder des Nachbarn unberechtigt nutzt.

@ Prof. Müller: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Sehr beliebt ist auch der Ukas des Dienstvorgesetzten, der den Richter, Beamten und Angestellten untersagt, privaten Müll (Butterbrotpapier, Zeitung) über den Dienstmüll zu entsorgen.

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Selbst wenn man annehmen würde, dass der objektive sowie subjektive Tatbestand von § 248c StGB erfüllt wäre, so könnte man doch zumindestens über eine stillschweigende Einwilligung als Rechtfertigungsgrund nachdenken. Der Arbeitgeber dürfte je nach betrieblicher Tätigkeit durchaus ein Interesse daran haben, dass der Arbeitnehmer ein funktionstüchtiges Handy hat.

Man könnte natürlich auch die Rechtsprechung des BAG dahingehend modifizieren, dass bei Diebstahl und anderen Straftaten im Betrieb auch ein Verhältnismäßigkeitsmaßstab anzuwenden ist und man nicht ausschließlich über einen Vertrauensentzug nachdenkt. Aber wo zieht man dann die Grenze?

 

Beste Grüße,

 

Kant

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Sehr geehrter Herr Kant,

eine "stillschweigende Einwilligung" gibt es nicht. Nur eine "mutmaßliche". Deren Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt.

Ich halte es für besser, in solchen Extremfällen die Kündigung wegen Rechtsmissbrauchs als unwirksam anzusehen.

Beste Grüße

Henning

a) Man benutzt unbefugt die bereits eingesteckte Kaffeemaschine: § 248c StGB (-)

b) Man steckt vorher deren Stecker in die Steckdose: § 248c StGB (+)

Ich kann den Unterschied im Unrechtsgehalt nirgendwo finden, wobei, die Hemmschwelle ist bei b) natürlich viel höher...

Hinsichtlich der erstinstanzlichen Anwaltskosten des Arbeitnehmers könnte durchaus § 826 BGB in Betracht kommen.

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Sehr geehrte Mitdiskutanten,

 

es ist immer wieder schön anzusehen, wie wir Juristen uns in kleinste Verästelungen verzetteln (Ist "Stromdiebstahl" eine Straftat gem. § 248c StGB?).

Viel wichtiger wäre es, den juristischen Sachverstand in der Wissenschaft auch mal wieder in den Grundlagengebieten einzusetzen.

Ist es nicht eine höchst interessante Frage für die Rechtssoziologie, wie die durch Politik und Medien propagierte Idee der "neuen Arbeitswelt unter den Funktionsbedingungen der Globalisierung" die Rechtsprechung in Arbeits-, Sozial- und Strafrecht gewissermaßen mitradikalisiert hat? Wie man Empathie (juristisch: Verhältnismäßigkeit) zunehmend aus der Rechtsanwendung verbannt, weil man sich den angeblichen Sachzwängen wie hypnotisiert unterwirft?

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Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

 

natürlich meinte ich die mutmaßliche Einwilligung.
Mir steht momentan leider kein Kommentar zum StGB bzw. Beck - Online zur Verfügung, aber nach kurzem "googeln" frage ich mich, warum die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung (natürlich abhängig vom Betrieb) nicht erfüllt sein sollen?

 

Mit freundlichen Grüßen,

Kant

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Sehr geehrter Herr Kant,

(aufgrund der Rücknahme der Kündigung nur noch theoretisch von Interesse:)

nach der h.M. zur mutmaßlichen Einwilligung ist diese subsuidiär zu einer tatsächlich einholbaren Einwilligung (vgl. MünchKomm-Schlehofer, vor § 32 ff. Rn. 137). Ich bin in meiner Stellungnahme davon ausgegangen, dass im vorl. Fall (als "Normalfall") eine Einwilligung ohne Weiteres hätte eingeholt werden können, weshalb eine mutmaßliche Einwilligung ausscheidet. Konnte eine Einwilligung nicht eingeholt werden (Chef verreist etc.), dann könnte freilich bei diesem geringen Betrag eine mutmaßliche Einwilligung aufgrund mangelnden Intresses  in Betracht kommen.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Es liegt doch gerade in diesem Fall auf der Hand, dass das Vertrauensverhältnis nicht zerbrochen ist, weil der AN sein Mobiltelefon im Betrieb aufgeladen hat. Hinter der Kündigung dürften ganz andere Gründe stehen (der AN konnte hier offenbar nachweisen, dass andere AN private Radios und Kaffeemaschinen ohne Beanstandung betrieben haben).

Zwar gibt es auch beim Kündigungsgrund des Diebstahls wegen geringwertiger Sachen Korrektive (siehe von Steinau-Steinrück/Ziegler, NJW 2009, 274), die allerdings so unbestimmt formuliert sind, dass sie in der Öffentlichkeit unbeachtet bleiben und vom AG nicht bei seiner Entscheidung zur Kündigung berücksichtigt werden. Sie greifen erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Das Vertrauensverhältnis ist dann tatsächlich endgültig zerstört.

Es wäre daher wünschenswert, für den juristischen Laien greifbare Kriterien schaffen - nicht nur, um rechtswidrige Kündigungen von vornherein zu verhindern, sondern auch, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Arbeitsgerichte wiederherzustellen. 

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Guten Tag,

der erwähnte Aufsatz von Herrn Steinau-Steinrück würde mich interessieren. Allerdings stimmt die angegebene Fundstelle nicht. Eine Parallelsuche in der NZA brachte auch keine Ergebnisse.

Ich würde mich freuen, wenn Sie nochmal in den Unterlagen nachschauen könnten.

 

Mit freundlichen Grüßen,

J. Sokianos

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Rolfs,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

I.
nachdem Sie schrieben:

"Nach Berichten des Westdeutschen Rundfunks hat die Arbeitgeberin die Kündigung am 4.8.2009 zurückgenommen: ..."

&

"(aufgrund der Rücknahme der Kündigung nur noch theoretisch von Interesse:)"

Frage ich mich, ob ich einen Denkfehler mache, wenn ich davon ausgehe das eine Kündigung - als einseitige, empfangsbedürftige und rechtsgestaltende WE - nicht zurückgenommen werden kann. Vielmehr sind die Parteien, in einem solchen Fall, auf ein Anerkenntnisurteil zu verweisen, dass, wenn und soweit rechtskräftig, die Unwirksamkeit der Kündigung bzw das fortbestehen des AV - feststellt -.

Insofern ist auch fraglich, ob eine beidseitige & übereinstimmende Erledigungserkl. weiterhilft, denn ohne die og Feststellung durch ein ArbG, bleibt mE das AV gekündigt.

II.
Hinsichtlich der steigenden Anzahl von Verdachtskündigungen (und auch Tatkündigungen) aufgrund minimaler "Schäden" bei AG würde ich einen 'neuen' Abs. 3 des 10 KSchG vorschlagen, nach dem eine (vom ArbG festzustellende) rechtsmissbräuchliche Kündigung für den AG Konsequenzen hätte. So könnte zB in solchen Fällen dem AG eine deutlich höhere Abfindung auferlegt werden, oder (und) festgestellt werden, dass er (AG) dem AN die Diff. zwischen Arbeitslosengeld/ -hilfe schuldet, bis dieser eine neue Arbeit findet bzw in Rente geht.

Dies würde sicherlich manchen AG veranlassen noch einmal über die beabsichtigte Kündigung nachzudenken.

ME hätte dies die folgenden Vorteile:

- weniger rechtsmissbräuchliche Kündigungen
- eine - auch dem juristischen Laien - besser vermittelbare Arbeitsrechtssprechung
- keine grundlegende Rechtssprechungsänderung bei (tatsächlich evidenten deliktischen Handlungen des AN zu Lasten des AG
- ein verbesserter Schutz des AN

Insbesondere letzteres erscheint mir wichtig, denn in den wenigsten Fällen dürfte es zu einem Anerkenntnisurteil kommen (wobei selbst dann fraglich ist, ob idF eine gedeiliche Zusammenarbeit zw. AN u AG erfolgen kann).

IdR dürfte es zu einem Vergl. kommen, welcher für den nur auf den ersten Blick vorteilhaft ist. So hätte der AN (10 II KSchG) max. einen Anspruch auf 15 Bruttomonatsverdienste. Bei zB 2500€ b/M wären das zwar 37500€, aber nach ordnungsgemäßer Versteuerung ... Beachtlich dabei ist auch, dass - bei der derzeitigen (u wohl auch zukünftigen) Arbeitsmarktsituation - ein "abrutschen" eines (älteren) AN in H-IV wahrscheinlich scheint.

Nach dem Gesagten erscheint eine "Bewegung" in Lit, Rechtsp. und beim Gesetzgeber jedenfalls wünschenswert.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr
2Shy...

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Auch wenn ich keiner der angesprochenen Herren bin, würde ich doch gerne antworten :-)

zu I) Materiell rechtlich sehe ich das genauso, eine wirksam ausgepsochene Kündigung kann als Gestaltungsrecht nicht zurückgenommen werden, wobei die Betonung hier auf "wirksam" liegt.

(1) Sieht man vorliegend die Kündigung als unwirksam an (weil man in dem Vorwurf keinen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB sieht), so bestände das Arbeitsverhältnis noch fort, weil für die Ausübung des Gestaltungsrechtes keine Anspruchsgrundlage vorhanden war. Die "Rücknahme" des Arbeitgebers würde ich dann als Wissenserklärung die Tatsache deuten, dass das AV weiter fortbesteht.

(2) Sieht man die Kündigung hingegen als rechtmäßig, weil von § 626 BGB gedeckt, an, so würde ich die "Rücknahme" materiell rechtlich als ein Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages auslegen, welches der Arbeitnehmer spätestens durch Arbeitsaufnahme konkludent annimmt.

Prozessual löst der Arbeitgeber diese Situation am kostengünstigsten durch eine Klagerücknahme, die vor Stellen der Anträge ohne Einwilligung des Beklagten ausgesprochen werden kann und die, wenn sie vor der streitigen Verhandlung erfolgt, ihm die Gerichtsgebühren erspart. Eine übereinstimmende Erledigung ginge prinzipiell aber auch, da in diesem Fall (aufgrund der Dispositionsmaxime der Parteien) das Gericht die Erledigung der Hauptsache nicht prüft. Eine einseitige Erledigung wäre in der Tat wohl nicht möglich, da bzgl. des Klageantrages der Festellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom ... keine Erledigung eingetreten ist.

zu II) Ich weiß nicht, ob die Anzahl dieser Kündigungen wirklich gestiegen ist oder ob dies ein Eindruck der momentan gesteigerten Medienaufmerksamkeit ist. Die Fälle gab es jedenfalls auch schon vorher, ob auch in dieser Menge kann ich nicht beurteilen:

z.B. Diebstahl dreier Kiwis (Wert: 2,97 DM) oder einer Dose Speiseöl (Wert: 4, 75 DM); Mitnahme zweier nach dem Mittagessen übriggebliebener gebratener Fischstücke (Wert: 10 DM) durch eine Kantinenmitarbeiterin (vgl. Nachweise bei Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Auflage 2007, § 127 Fn. 329 ). 

Im Jahre 1999 hat das LAG Köln entschieden, dass bei einem Diebstahl dreier Briefumschläge im Wert von je 0,03 DM eine vorherige Abmahnung erforderlich ist (NZA-RR 2001, 83).

Den Vorschlag mit dem Rechtsmissbrauch halte ich in der Praxis für schwer umsetzbar, da der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit (der im Übrigen auch schon jetzt möglich ist) zu großen Beweisproblematiken führt (wie soll der Arbeitnehmer die Rechtsmissbräuchlickeit od. (wenn sie eine Beweislastumkehr installieren) der Arbeitgeber das Gegenteil beweisen?). Will man diese Form der Kündigung wirklich gesetzlich abschaffen, so wäre wohl die Einführung einer Bagatellgrenze praktisch am einfachsten, bei deren Unterschreitung zunächst eine Abmahnung zu erfolgen hat. 

Ich bin allerdings der Ansicht, dass die bisherige Rechtsauffassung durchaus zutreffend ist, ich kann mit den bisher bekannt gewordenen Urteilen (nicht mit allen bekannt gewordenen Kündigungen) auf jeden Fall gut leben. Es ist durchaus sinnvoll, in jedem Einzelfall (auch in Bagetellfällen) zu prüfen, ob die Tat zu einer unumkehrbaren Zerstörung des Vertrauensverhältnisses geführt hat. M.E. wird man dies bei Straftaten gegen den Arbeitgeber im Regelfall bejahen können, in Ausnahmefällen (darunter zähle ich den hier diskutierten "Stromdiebstahl" oder Fälle, in denen keinem ein Schaden entsteht, z.B. die Mitnahme von "Müll") aber auch einmal nicht.

Viele Grüße

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Korrektur:

Prozessual löst der Arbeitnehmer diese Situation am kostengünstigsten durch eine Klagerücknahme.

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Die in der Praxis gar nicht seltene "Rücknahme der Kündigung" ist natürlich rechtlich nicht möglich. Es handelt sich um ein Angebot des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen und unter Aufrechterhaltung des Besitzstandes fortzusetzen. Der Arbeitnehmer ist frei, ob er dieses Angebot annimmt oder an seiner Kündigungsschutzklage mit Auflösungsantrag festhält.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten gibt es im Arbeitsleben seit jeher, und zwar von beiden Seiten: Genauso wie manche Arbeitgeber offensichtlich unwirksame Kündigungen aussprechen, unberechtigte Lohneinbehalte o.Ä. vornehmen, gibt es Arbeitnehmer, die ihre Arbeit schlechter verrichten, als sie es bei sorgfältiger Anspannung ihrer Kräfte könnten, oder die über Gebühr krank feiern ("gelber Urlaubsschein", besonders beliebt nach Zugang der Kündigung, dann als "kündigungsbedingte Arbeitsunfähigkeit" bekannt). Ob man darauf wirklich mit einer Ergänzung des § 10 KSchG reagieren sollte - die dann ja wohl beide Richtungen erfassen müsste - erscheint mir zweifelhaft.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Rolfs,

sehr geehrter Herr M,

sehr geehrte Blog-Leser,

 

zunächst möchte ich auf die Ausführung von Herrn M. (unter (1)) eingehen "… so bestände das Arbeitsverhältnis noch fort, weil für die Ausübung des Gestaltungsrechtes keine Anspruchsgrundlage vorhanden war. …". Dem kann wohl so nicht zugestimmt werden, denn zum einen ist der AG schon nicht dazu verpflichtet den wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB in der Kündigung (also bei der Ausübung des Gestaltungsrechtes) zu benennen, und macht der Arbeitnehmer daraufhin die Rechtsunwirksamkeit nicht unter Vermeidung der Präklusionsfrist geltend, so gilt die Kündigung von Anfang an als rechtswirksam (§ 7 KSchG); unabhängig davon, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB genannt war und auch tatsächlich vorlag. Mithin kann es für die Ausübung des Gestaltungsrechtes hier nicht darauf ankommen, ob eine "Anspruchsgrundlage" bestand, oder nicht.

 

Wenn sowohl Prof. Dr. Rolfs als auch Herr M. eine "Rücknahme der Kündigung" als Angebot auslegen, möchte ich darauf wie folgt replizieren.

 

Zu unterscheiden ist mE zunächst in welchem Zeitpunkt die "Rücknahme der Kündigung" erfolgt.

 

Nach meiner Ansicht besteht für ein solches Angebot nach Klageerhebung schon kein Bedürfnis und auch kein Raum, denn in einem solchen Falle liegt die Auslegung näher, dass der AG die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung anerkennt. Mithin ist er - gegebenenfalls nach Hinweis - gehalten, gegenüber dem Gericht (ausdrücklich) Anerkenntnis zu erklären und damit ein Anerkenntnisurteil herbeizuführen. Danach gilt die Kündigung von Anfang an als rechtsunwirksam und der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages (oder das Angebot auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen …) erübrigt sich. Von einer Erledigungserklärung, oder gar einer Klagerücknahme würde ich einem AN in dieser Situation - aus Gründen der Rechtssicherheit - entschieden abraten. Wenn und soweit der AG - obgleich er die Kündigung "zurückgenommen hat" - ein Anerkenntnis verweigert, ist mE in dem Mandanten zu raten das kontradiktorische Verfahren fortzuführen.

 

An dieser Stelle soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass es dem AN auch nach erfolgtem Anerkenntnisurteil freisteht (innerhalb der Rechtsmittelfrist) Berufung einzulegen und dabei ein Antrag gemäß § 9 Abs. 1 KSchG zu stellen.

 

Erfolgt jedoch die "Rücknahme der Kündigung" vor Klageerhebung, kann diese durchaus als Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages gewertet werden. Der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages ist dabei aus meiner Sicht allerdings zwingend, denn - und darüber dürfte Einigkeit bestehen - die Rücknahme der Kündigung als rechtsgestaltende Willenserklärung ist nicht möglich.

 

Ginge der AN auf das Angebot (auf  Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen …) ein, ohne einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen, gilt die Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam (wobei sich der AN im Zweifel sicherlich auf § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG berufen könnte).

 

Auf ein konkludentes Zustandekommen eines neuen Arbeitsvertrages würde ich mich - aus Gründen der Rechtssicherheit - nur berufen wollen, wenn ich den AN im Zeitpunkt des Zustandekommens nicht vertreten/beraten hätte. Andernfalls würde ich ihm dazu raten, - schriftlich - einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen. Dabei könnte man wie folgt formulieren (beispielhaft, verkürzt und nicht abschließend, da dies hier ansonsten den Rahmen sprengen könnte;):

 

"Die XY GmbH beschäftigt Herrn Z ab dem tt.mm.jjjj als A zu den Bedingungen aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag vom tt.mm.jjjj. Dabei besteht unter den Parteien Einigkeit, dass durch die Kündigung vom tt.mm.jjjj die Betriebszugehörigkeit des Herren Z nicht unterbrochen wurde. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf …"

 

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Bezüglich der von mir angeregten Ergänzung des § 10 KSchG möchte ich wie folgt Stellung nehmen.

 

Eine - wie von Herren M. angeregt - Einführung einer Bagatellgrenze halte ich aus (mindestens) 2 Gründen für problematisch. Zum einen würde dies schwerlich die Position des AN im Betrieb (zB Prokurist, Kassierer… oder Sachbearbeiter, Lagerarbeiter…) berücksichtigen können. Eine solche Berücksichtigung ist jedoch mE erforderlich, denn - im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis - wäre eine solche Grenze für einen Lagerarbeiter sicherlich eine andere, als für einen Prokuristen. Im Übrigen spricht (aus AG-Sicht) dagegen, dass bei einer - bekannten und fixen - Bagatellgrenze sich der AN dazu "verleitet" sehen könnte, selbige "auszunutzen" und dabei eine Abmahnung zu "riskieren". Dies führt direkt zur nächsten Frage, nämlich wie viele Abmahnungen haben zu erfolgen? Immer eine? Oder, wenn - im vorliegenden Fall - die Bagatellgrenze deutlich unterschritten wurde (Bagatellgrenze zB: 5 €) zwei, drei, …?

 

Wenn Prof. Dr. Rolfs darauf verweist, dass es im Arbeitsleben seit jeher von beiden Seiten rechtsmissbräuchliches Verhalten gibt, ist dem natürlich zuzustimmen. Jedoch regelt § 10 KSchG (im Zusammenspiel mit § 9 KSchG) ohnehin nur die - maximale - Höhe der durch den AG zu zahlenden Abfindung. Dabei erfasst § 10 KSchG grundsätzlich nur Fälle in denen feststeht, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöste. Mithin hat der Gesetzgeber an dieser Stelle schon die Rechtsmissbräuchlichkeit der Kündigung (seitens des AG) ansatzweise berücksichtigt (vergl. In diesem Zusammenhang auch § 1 a KSchG). Eine Ergänzung des § 10 KSchG sollte mE auch kein anderes rechtsmissbräuchliches Verhalten des AG erfassen. Auch eine Ausweitung, nach der § 10 KSchG rechtsmissbräuchliches Verhalten des AN erfassen sollte, erscheint mir als nicht angebracht, wenn nicht systemwidrig. Denn, wenn und soweit sich der Arbeitnehmer rechtsmissbräuchliches Verhalten (wie zB angeführt über Gebühr "krankfeiern") anrechnen lassen muss, würden die §§ 9, 10 KSchG schon nicht greifen, weil in solchen Fällen die (verhaltensbezogene/personenbezogene) Kündigung wohl durch das Gericht als rechtswirksam gewertet würde. Mir ging es bei der vorgeschlagenen Ergänzung viel mehr um rechtsmissbräuchliche Verdachts- Tatkündigungen. In diesem Zusammenhang erscheint mir, nach wie vor, eine Ergänzung des § 10 KSchG wünschenswert. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsmarktsituation und die (möglichen) Konsequenzen für den AN (vergl. dazu meine Ausführungen im ersten Beitrag).

 

Aber, um diesen Beitrag ein wenig abzukürzen (schreibe heute mit dem Notebook, anstatt wie gestern mit dem iPhone;), möchte ich (beispielhaft; nur als Diskussionsgrundlage) die von mir angedachte Ergänzung des § 10 KSchG anformulieren;)

 

> (2a) Hat das Gericht im Sinne von § 9 Abs. 1 KSchG festgestellt, dass eine Verdachts- beziehungsweise Tatkündigung rechtsunwirksam ist und hält sie diese, nach den Umständen des Einzelfalls, darüber hinaus auch für rechtsmissbräuchlich, können die jeweiligen Höchstabfindungsbeträge verdoppelt werden. Rechtsmissbräuchlichkeit wird dabei vermutet, wenn … <

 

Darauf wie man eine "Regelvermutung" ausgestaltet, möchte ich an dieser Stelle (um den Rahmen nicht endgültig zu springen;) nicht eingehen.

 

Als letzte Anmerkung sei noch angeführt, dass die von mir angedachte "Differenzregelung" besser (und dogmatisch sauberer) in einem neuen § 10 a KSchG zu fassen wäre; zB:

 

> Steht die Rechtsmissbräuchlichkeit eine Kündigung im Sinne von § 9 Abs. 2 a KSchG fest, schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bis … die Differenz … <

 

Damit möchte ich an dieser Stelle schließen (der Beitrag ist ohnehin schon etwas sehr ausführlich geraten;-)

 

Mit freundlichen Grüßen, Ihr

2Shy…

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@ 2Shy...:

Ihrem Vorschlag, die "Rücknahme der Kündigung" nach Klageerhebung nicht mehr als Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu interpretieren, vermag ich nicht zuzustimmen. Denn dann bliebe ja der eindeutig geäußerte Wille des Arbeitgebers ohne rechtsgeschäftliche Bedeutung. Als prozessuales Anerkenntnis kann die Erklärung nicht ausgelegt werden, da sie an den "falschen" Adressaten gerichtet ist (Arbeitnehmer statt Gericht) und u.U. auch nicht die für Prozesserklärungen erforderliche Form wahrt.

Der Arbeitnehmer müsste also darauf hoffen, dass der Arbeitgeber zusätzlich noch das prozessuale Anerkenntnis abgibt - aber was ist, wenn er das nicht tut? Dem am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses interessierten Arbeitnehmer geben Sie Steine statt Brot. Zumal die Durchführung des Kündigungsschutzverfahrens das Risiko des Unterliegens in sich trägt (das ja auch mal deutlich größer sein kann als im hier behandelten Fall).

@ 2Shy:

Danke für den Hinweis auf § 7 KSchG, diesen hatte ich in der Tat nicht berücksichtigt. Dessen Fiktionswirkung greift allerdings auch nur ein, wenn die Klage nicht rechtzeitig erhoben wurde. Wurde hingegen rechtzeitig geklagt, so entfaltet er keine Wirkung und das Gericht prüft die Anpruchsvoraussetzungen des § 626 BGB.Zu § 7 KSchG kommt man dann wohl nur wieder, wenn der Arbeitnehmer die Klage zurücknimmt, die Rechtshängigkeit entfällt und damit wegen Fristversäumnis die Fiktionswirkung des § 7 KSchG greift.

Ein Anerkenntnis käme nur in Frage, wenn sie gegenüber dem Gericht erklärt würde und nicht gegenüber den Arbeitnehmer. Allenfalls bei einer Erklärung gegenüber dem Gericht mit dem Inhalt "man nehme die Kündigung gegen die Arbeitnehmer zurück" könnte man von einem Anerkenntnis ausgehen, wobei eine solche großzügige Auslegung bei einer solch schwerwiegenden Prozesshandlung ziemlich gewagt erscheint.

Nach wie vor überzeugt mich die Lösung über den Rechtsmissbrauch nicht, da dessen Unbestimmtheit augenscheinlich ist. Schon im vorliegenden Fall finde ich es schwierig zu begründen, dass der Arbeitgeber "ein ihm eigentlich zustehendes Recht unberechtigterweise ausgeübt hat" (so die wohl übliche Def. für Rechtsmissbrauch). Konsequenter wäre es dann doch, schon den Kündigungsanspruch an sich zu verneinen (z.B. wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz), als im Nachgang eine Rechtsmissbräuchlichkeitsprüfung des eigentlich vorhandenen Anspruches vorzunehmen.

Die gegen die Bagatellgrenze vorgebrachten Argumente teile ich durchaus, ähnliche Probleme ergeben sich aber auch bei Ihrer Lösung, insbesondere bei der Installation von Regelvermutungen für die Rechtsmissbräuchlichkeit. Ab welchem Wert ist eine Kündigung grundsätzlich als rechtsmissbräuchlich anzusehen? Ist es überhaupt rechtsmissbräuchlich kleinlich zu sein? Hat sich der Einwand des Rechtsmissbrauchs an der Position des Arbeitnehmers zu orientieren? Spätestens die Arbeitsgerichte würden Fallgruppen entwickeln (müssen), in denen grundsätzlich von einer Rechtsmissbräuchlichkeit ausgegangen werden muss. An diese Grenzen könnte sich der Arbeitnehmer dann ebenso "herantasten". Rechtssicherheit wäre so schnell wohl nicht zu erreichen.

Dann lieber folgende Regelung an § 626 BGB anfügen:

"Bei Eigentumsdelikten gegen den Arbeitgeber ist dieser zu außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers berechtigt, sofern der Schaden über einem Euro liegt oder der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses schon einmal wegen eines Eigentumsdeliktes abgemahnt wurde."

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@ Prof. Dr. Rolfs

Als ich schrieb:

"... in einem solchen Falle liegt die Auslegung näher, dass der AG die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung anerkennt. Mithin ist er - gegebenenfalls nach Hinweis - gehalten, gegenüber dem Gericht (ausdrücklich) Anerkenntnis zu erklären und damit ein Anerkenntnisurteil herbeizuführen."

Meinte ich hinreichend deutliich gemacht zu haben, dass ich in dem Angebot kein "prozessuales Anerkenntnis" sehe, sondern das der AG (nac entsprechendem Hinweis durch iZ den Bevollmächtigten des AN) freilich ausdrücklich Anerkenntnis zu erklären hat, um ein Anerkenntnisurteil herbeizuführen. 

Weigert sich der AG halte ich, nach wie vor, eine Erledigungserklärung, oder gar einer Klagerücknahme durch den AN, für wenig angebracht. Denn durch eine diesbezügliche Weigerung erscheint eine (ohnenin fragliche) gedeiliche Weiterführung des AV mehr als zweifelhaft.

Wenn und soweit Sie meinen, dass ich durch meine Herangehensweise dem AN "Steine statt Brot" - auch unter Verweis auf das Prozessrisiko - gebe kann ich dem nicht beitreten.

Denn zum einen ist schon fraglich, ob der AN bei einer solchen Sachlage "Brot", also eine tatsächliche - und andauernde - Weiterbeschäftigung erlangen würde, zum anderen wäre - auch in einem anderen, als dem hier behandelten Fall - das Prozessrisiko deutlich herabgesetzt. Denn - dies hatte ich zugestandener Weise nicht explizit ausgeführt - in einer solchen Situation ist durch den Bevollmächtigten des AN darauf hinzuwirken, dass sowohl das "Angebot", als auch die Weigerung des AG Anerkenntnis zu erklären zu Protokoll genommen werden. Danach erscheint ein klageabweisendes Urteil eher unwahrscheinlich. Denn, dass ein AG ein solches "Angebot" macht, ohne dass er seinerseits ein (erhebliches Prozessrisiko vergegenwärtigt, dürfte praxisfern sein, und das Gericht würde sicherlich - spätestens nach oG Protokollierung (auch im Hinblick auf eine dann drohende Berufung/Revision) - seine Schlüsse ziehen.

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@ Johannes M.

Nachdem ich heute wider auf dem iPhone schreibe, möchte ich mich an dieser Stelle nur kurz äußern (morgen Abend ggf. ausführlicher;)

- 7 KSchG hatte ich nur hinsichtlich eines "Angebotes" vor Klageerhebung angeführt, jedenfalls war es so gemeint
- Hinsichtlich Anerkenntnis erlaube ich mir auf meinen Beitrag @ Prof. Dr. Rolfs zu verweisen
- eine Regelvermutung ist sicherlich auch nicht völlig unproblematisch; war jedoch nur eine (bislng nicht ausformulierte) Idee, welche nicht zwangsläufig (und sofort) aufgenommen werden müsste. Mache mir aber nochmal Gedanken;)
- ein "Kündigungsanspruch" ist bei meinem Ansatz gerade nicht gegeben; vergl. 9 KSchG auf den sich 10 KSchG ausschließlich bezieht
- Ihre Idee eine Ergänzung in 626 BGB zu verorten halte ich für durchaus erwägenswehrt ; insbesondere da dies
 auch bei "Kleinbetrieben" greifen würde, auf die das KSchG keine (zumindest nicht dir.) Anwendung findet; werde mir auch diesbezüglich Gedanken machen (ggf morgen mehr;)

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