Bundesverfassungsgericht: Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers ist verfassungsgemäß

von Jan Spoenle, veröffentlicht am 15.07.2009

Das Bundesverfassungsgericht hat heute den Volltext einer Entscheidung vom 16. Juni 2009 veröffentlicht, mit der eine Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers abgewiesen wurde. Dabei handelt es sich wohl um die erste Entscheidung zum neuen § 110 Abs. 3 StPO; die Ausführungen des höchsten deutschen Gerichts haben aber auch generell ein großes Gewicht für die künftige Tätigkeit von Strafverfolgungsbehörden angesichts der zunehmenden Verlagerung von Lebenssachverhalten in digitale Gefilde. Nach dem ersten Lesen fallen mir vor allem folgende Punkte auf:

 

1. Auf dem Server ruhende E-Mails werden von Art. 10 Abs. 1 GG geschützt

Zwar entspreche das "Ruhen" der Kommunikationsinhalte nicht dem technischen Konzept der üblichen Definition von Kommunikation (Aussenden, Übermitteln, Empfangen), die vom Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG umfasst ist. Doch sei der Schutzbereich nicht aus technischer Sicht, sondern von der Perspektive des Grundrechtsträgers und dessen Schutzbedürftigkeit aus zu bestimmen. Daher gilt laut BVerfG auch bei IMAP-Nutzung: Das Fernmeldegeheimnis schützt selbst bereits gelesene E-Mails.

 

2. § 94 StPO als Eingriffsgrundlage für Art. 10 Abs. 1 GG

Die Karlsruher Richter postulieren weiterhin, dass der Gesetzgeber in Bezug auf § 94 StPO schon aufgrund seiner systematischen Stellung nicht davon ausgegangen sein wird, dass nur mittels der §§ 99, 100a und 100g StPO in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen werden könne. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich dafür nichts. Soweit in einzelnen Entscheidungen bislang § 99 StPO oder § 100a StPO für die richtige Rechtsgrundlage gehalten worden war, berühre das nicht die Anwendbarkeit von §§ 94 StPO ff. für die Beschlagnahme von Mails auf einem Server.

 

3. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs: Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden im digitalen Bereich

Von großer Bedeutung wird auch sein, dass die obersten Richter erneut betonen: "Das Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden mit der technischen Entwicklung kann [...] nicht lediglich als sinnvolle Abrundung des Arsenals [...] begriffen werden [...], sondern ist vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr einschließlich der anschließenden digitalen Verarbeitung und Speicherung zu sehen", denn: "Die vermehrte Nutzung elektronischer und digitaler Kommunikationsmittel und ihr Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche erschweren die Strafverfolgung."

Daraus folgert das BVerfG, dass ein Anfangsverdacht für die Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers genügt, sofern diese – wie üblich – offen stattfindet, etwa wie im Anlassfall im Rahmen einer Durchsuchung mit Ausdehnung über § 110 Abs. 3 StPO. Auch eine Beschränkung auf Straftaten mit erheblicher Bedeutung komme insoweit nicht in Frage; es sei nicht gerechtfertigt, den großen Bereich an relevanten Delikten unterhalb dieser Schwelle wie etwa der §§ 185, 202a oder auch 184 und 184a StGB von dieser Ermittlungsmöglichkeit auszuschließen.

 

4. Keine Anwendung des neuen Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG

Am neuen "IT-Grundrecht" zu messen seien nur Eingriffe, die nicht bereits durch andere Grundrechte, insbesondere Art. 10 oder Art. 13 GG, sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgedeckt werden. Damit stellt das Gericht nochmals klar, dass das neue Grundrecht kein umfassender Heilsbringer gegen Eingriffe in digitale Angelegenheiten ist, sondern nur für speziell gelagerte Sachverhalte in Stellung gebracht werden kann, wozu der Zugriff auf Mails beim Provider gerade nicht gehört.

 

Was meinen die Beck-Blog-Leser zu der Entscheidung? Lässt sich aus der für die Ermittlungsbehörden erfreulichen Entscheidung eine Tendenz herauslesen?

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6 Kommentare

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Mich hat vor allem rz 68 ff. hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung interressiert. Das halte ich für interessanter als ein allfälliger Zugriff auf selbst erzeugte Datenbestände via Richterbeschluss.

Grüße

ALOA

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Die Bemerkungen in Rz. 68 ff. scheinen in der Tat wegweisend für die erwartete Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung. Allerdings sprechen die Richter dabei auch von Eingriffen in einen "laufenden" TK-Vorgang, was ja im Falle der VDS i.d.R. nicht mehr gegeben wäre, vor allem sofern der tatsächliche Zugriff auf die Verkehrsdaten, der vom Speichern der Daten zu trennen ist, nur punktuell erfolgt.

Ich meine allerdings, dass einige der Fragen, die das BVerfG in dieser Sache an die Gutachter gestellt hat, darauf schließen lassen, dass die Vorratsdatenspeicherung keinesfalls generell gekippt werden wird – so sorgt sich das Gericht offenbar darum, ob beim Verzicht auf jegliche Verkehrsdatenspeicherung bei bestimmten Straftaten möglicherweise a priori gar nicht ermittelt werden kann. Dass es solche Straftaten gibt – und darunter auch solche von erheblicher Bedeutung, deren Nichtverfolgung keine Option sein kann –, liegt natürlich auf der Hand ... 

Mit anderen Worten sobald jemand Implantate entwickelt mit denen man Gedanken überwachen kann, werden die Zwangsweise pflicht. Weil es schwere Straftaten gibt die man nur durch so eine Technik verfolgen kann?

Quickfreeze oder 2 Wochen speichern könnte ich ja noch verstehen aber 6 Monate inklusive aller Standortdaten. Das geht zuweit zumahl diese Daten in aller Welt ausgelagert werden. Telekom verkauft die Daten z.B. schon an Nokia.

Quelle:
http://www.heise.de/resale/news/meldung/141623

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@Mark: Richtig, ob man wirklich alle in § 113a TKG aufgeführten Daten braucht und welche davon man wie lange vorhalten sollte – das sind die Fragen, die geklärt werden müssen und bei denen die Frage der Verhältnismäßigkeit in den Mittelpunkt rücken wird. Quick Freeze ist allerdings keine Alternative, wie fälschlicherweise hier und da behauptet wird, denn es geschieht selten, dass die Strafverfolgungsbehörden von einem strafbaren Sachverhalt zu einem Zeitpunkt Kenntnis erlangen, zu dem die Straftat noch andauert bzw. begangen wird. In der Regel beruht die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden auf der Analyse eines historischen, also abgeschlossenen Vorgangs :-)

 

Ich denke, ein weiterer Aspekt ist bei dem Urteil bedenkenswert: Art. 10 GG, 88 TKG und 206 StGB sind ja eng miteinander verzahnt. Somit wird die Entscheidung mglw. auch Einfluss haben auf die Frage, wann und unter welchen Umständen auf die E-Mails eines Arbeitnehmers zugegriffen werden darf. Nach dem BVerfG-Urteil vom 2.3.2006 (2 BvR 2099/04) hätte man auf die Idee kommen können, dass das Fernmeldgeheimnis bei einem Zugriff auf abgelegte Inhalte (generell) keine Rolle spielt, sondern nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dort ging es allerdings nur um Verbindungsdaten.

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