Schlussanträge des Generalanwalts - neuer Zündstoff?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 09.07.2009

Vor einigen Tagen hat der Generalanwalt beim EuGH, Yves Bot, seine Schlussanträge im Vorabentscheidungsverfahren um eine mögliche Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch das deutsche Kündigungsrecht vorgelegt (Rechtssache C-555/07 - Kücükdeveci) Auf Vorlage des LAG Düsseldorf soll sich der EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf eine Besonderheit des deutschen Kündigungsrechts äußern. Konkret geht es um die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr unberücksichtigt bleiben, wenn die nach Beschäftigungsdauer ansteigende Kündigungsfrist zu bestimmen ist. Im Ausgangsfall war eine 28 Jahre alte Arbeitnehmerin nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit entlassen worden. Die Kündigungsfrist betrug nach § 622 BGB einen Monat. Ohne die angegriffene Regelung des (§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB) hätte sie vier Monate betragen. Der Generalanwalt sieht hierin eine unmittelbare Benachteiligung junger Arbeitnehmer, die sich nicht überzeugend rechtfertigen lasse. Die Regelung verfolge kein legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Rahmen-Richtlinie 2000/78/EG. Diese Einschätzung verdient uneingeschränkte Zustimmung, läßt sich in der Tat keine plausible Begründung für die von dieser Vorschrift ausgehende Zurücksetzung junger Arbeitnehmer geben. Statt sich vom EuGH bescheinigen zu lassen, dass das deutsche Recht diskriminierenden Charakter hat, hätte der deutsche Gesetzgeber eigentlich schon viel früher eine Änderung des § 622 BGB beschließen müssen. Gravierender sind hingegen die Aussagen des Generalanwalts zu den Konsequenzen, die sich aus der Unvereinbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mit der Richtlinie 2000/78/EG ergeben. In Anknüpfung an das umstrittene Mangold-Urteil des EuGH führt der Generalanwalt hierzu wörtlich aus: "Ich schlage dem Gerichtshof vor, zur Bekämpfung der gemeinschaftswidrigen Diskriminierungen einem ehrgeizigeren Ansatz zu folgen, ... Der Gerichtshof sollte daher ... anerkennen, dass eine Richtlinie, deren Ziel die Bekämpfung von Diskriminierungen ist, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Einzelnen geltend machen werden kann, um die Anwendung einer ihr entgegenstehenden nationalen Regelung auszuschließen." Im Ergebnis plädiert der Generalanwalt ausdrücklich dafür, die nationale Rechtsvorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB unangewendet zu lassen, und zwar auch im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Einzelnen. Sollte der EuGH dem Generalanwalt auch in diesem Punkt folgen, würde die Diskussion um die Kompetenzen des EuGH erneut entfacht. Der Fall Mangold, der von nicht wenigen als "ausbrechender Rechtsakt" eingestuft wird, liegt derzeit übrigens dem BVerfG zur Entscheidung vor.

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