BAG: Keine Ablösung des nachwirkenden Tarifvertrages durch zuvor getroffene arbeitsvertragliche Vereinbarung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 05.07.2009
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtBAGNachwirkungArbeitsvertrag2|7012 Aufrufe

Das BAG (Urteil vom 1.7.2009 - 4 AZR 261/08 und Urteil 1.7.2009 - 4 AZR 250/08 -, Pressemitteilungen 67 und 68/09) hat in zwei neueren Urteilen bekräftigt, dass sich Unternehmen von den tariflichen Bindungen nicht ohne weiteres durch Änderung der Arbeitsverträge lösen können. Ein Arbeitgeber ist nach seinem Verbandsaustritt an die vom Arbeitgeberverband geschlossenen Tarifverträge kraft Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG bis zu deren Ende unmittelbar und zwingend gebunden. Anschließend wirken sie gem. § 4 Abs. 5 TVG nach, „bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden". Als andere Abmachung kommen insbesondere auch arbeitsvertragliche Vereinbarungen in Betracht. Das ist unproblematisch, wenn die abweichende arbeitsvertragliche Vereinbarung im Nachwirkungszeitraum zustande kommt. In den jetzt vom BAG entschiedenen Fällen was ein saarländisches Metallunternehmen aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und ein Bauunternehmen aus Schleswig-Holstein war in eine OT-Mitgliedschaft gewechselt. Beide Arbeitgeber vereinbarten anschließend - noch während der regulären Laufzeit der Tarifverträge - mit ihren Mitarbeitern neue Arbeitsverträge, die mit sofortiger Wirkung untertarifliche Arbeitsbedingungen festlegten. Klar ist, dass diese Vereinbarungen während der Laufzeit des Tarifvertrages wegen § 4 Abs. 3 TVG keine Wirkung entfalten können. Klärungsbedürftig ist hingegen, ob die zu Ungunsten des Arbeitsnehmers abweichenden arbeitsvertraglichen Abreden nach Ablauf des Tarifvertrages wieder aufleben und die fortwirkenden Normen des Tarifvertrages abzulösen vermögen. Dies lehnt das BAG jetzt eindeutig ab. Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die untertarifliche Abreden enthalte und bereits im Stadium der Nachbindung gelten solle, sei grundsätzlich bereits nach ihrem Regelungswillen keine „andere Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG. Dafür spricht in der Tat schon der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG ("ersetzen"). Allerdings sollte es für die Annahme einer "anderen Abmachung" genügen, dass die arbeitsvertragliche Abrede zwar bereits während der Laufzeit des Tarifvertrages getroffen wird, dabei aber zugleich klargestellt wird, dass sie erst bei Eintritt der Nachwirkung ihre Wirkung entfaltet. Das wird vor allem dann praktisch interessant, wenn der Arbeitgeber nur noch nach § 3 Abs. 3 TVG tarifgebunden ist und nur noch das Auslaufen des Tarifvertrages zu einem bestimmten Zeitpunkt abgewartet werden muß. Die Entscheidungsgründe werden erweisen, ob das BAG diese im Schrifttum (ErfK-Franzen, § 4 TVG Rdn. 64 und Löwisch/Rieble, § 4 TVG Rdn. 401) favorisierte funktionale Betrachtungsweise weiterhin zulässt.  

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2 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Prof. Stoffels,

wie bewerten Sie diese beiden Urteile hinsichtlich der Frage, ob eine große dynamische Bezugnahmeklausel eine "andere Abmachung" iSd § 4 V TVG bzw. eine "schuldrechtliche Vereinbarung" iSd § 613a I 4 BGB sein kann? Lässt sich den Entscheidungen eine Tendenz des Senats entnehmen?

Grüße aus Berlin,
J. Sokianos

Nach bislang h.M. kann auch in einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel eine ablösende Vereinbarung i.S.d. § 4 Abs. 5 TVG liegen (vgl. etwa BAG 17.1.2006, NZA 2006, 923, 925, HWK-Henssler, § 4 TVG Rdn. 11). Allein die Pressemitteilung ist wohl keine seriöse Grundlage, über solche Folgefragen nachzudenken. Dass es hier allerdings einige Querbezüge gibt, macht Ihre Frage deutlich. Derzeit wird ja vom zuständigen Senat Einiges neu geordnet.

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