Bundestag beschließt Gesetz zum Schutz von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 04.07.2009

Der Rechtsstaat muss auch die Opfer von Straftaten schützen, zumal Kinder und Jugendliche, aber auch besonders schutzbedürftige erwachsene Opfer, etwa solche einer Sexualstraftat oder eines schweren Gewaltverbrechens. An das Opferrechtsreformgesetz vom 1.9.2004 knüpft das vom Deutschen Bundestag am 2.7.2009 beschlossene Zweite Opferrechtsreformgesetz (BT-Drs. 16/ 12098) an, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Besserer Schutz des Verletzten im Strafverfahren

Im Bereich der Nebenklage und des Opferanwalts orientiert sich das Gesetz daran, den besonders schutzbedürftigen Opfern besondere Rechte einzuräumen, um deren Belastungen durch das Strafverfahren abzumildern. Dabei bündelt es Vorschläge des Bundesrats und insbesondere zahlreiche Anregungen von Opferschutzverbänden zu einem Gesamtkonzept. Der Schwere des Delikts und den Folgen wird künftig ein stärkeres Gewicht beigemessen. Im neuen § 395 StPO wird dann z.B. auch Opfern von Zwangsheirat oder sexueller Nötigung die Möglichkeit eingeräumt, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen. Auch Opfer von Raub, Erpressung oder anderen Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter sind in Zukunft nebenklagebefugt, wenn sie von schweren Tatfolgen betroffen sind. Daneben wird im neuen § 397a StPO der Kreis derjenigen erweitert, die - unabhängig von ihren wirtschaftlichen Voraussetzungen - Anspruch auf Beiordnung eines kostenlosen Opferanwalts haben. Künftig übernimmt der Staat die Anwaltskosten auch bei Straftaten wie etwa schwerer Körperverletzung, Raub oder schwerem Stalking, wenn die Tatfolgen besonders schwer sind.

Erweiterte Informationspflichten von Strafverfolgungsbehörden

Da jede Rechtsverfolgung die Kenntnis der Rechte voraussetzt, werden in § 406h StPO auch die Informationspflichten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Verletzten von Straftaten erweitert. Beispielsweise muss künftig schon die Polizei bei der Anzeigeerstattung das Opfer in verständlicher Weise und sehr viel umfassender als bisher über seine Rechte belehren und auf spezielle Hilfsangebote von Opferhilfeeinrichtungen hinweisen. So muss das Opfer etwa über die Möglichkeit einer psychosozialen Prozessbegleitung oder andere Unterstützung von Opferhilfeeinrichtungen aufgeklärt und auf Entschädigungsansprüche oder Schadensersatz im Adhäsionsverfahren aufmerksam gemacht werden. Zudem werden durch Änderungen in den §§ 138 und 142 StPO die Auswahlmöglichkeiten der Verletzten bei der Wahl eines anwaltlichen Beistands vergrößert. Durch eine Ergänzung des § 158 StPO können Verletzte künftig leichter in Deutschland Straftaten anzeigen, die an ihnen im europäischen Ausland begangen wurden.

Verbesserter Schutz von Zeugen

Die Rechte von Zeugen bei ihrer polizeilichen Vernehmung werden zukünftig in § 163 Absatz 3 StPO eindeutig im Gesetz festgeschrieben.Dies soll in der Praxis für alle Beteiligten zu mehr Klarheit führen. Die Möglichkeit des Zeugen, jederzeit einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand hinzuzuziehen wird erstmalig gesetzlich verankert. Zudem kann das Gericht besonders schutzbedürftige Zeugen künftig in mehr Fällen als bisher einen anwaltlichen Beistand beiordnen (§ 68b StPO). Flankierend dazu wird geregelt, dass eine die Beiordnung ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Zukunft gerichtlich überprüft werden kann. Erweitert wird die nach § 68 Abs. 2 StPO für Zeugen bestehende Möglichkeit, in bestimmten Fällen ihren Wohnort nicht angeben zu müssen. Erstmalig wird auch festgeschrieben, dass der Zeuge auch im Nachhinein den Austausch seiner Wohnadresse gegen eine andere Anschrift verlangen kann, wenn sich eine Gefährdung erst nach Beendigung seiner Aussage ergibt.

Schutz von jugendlichen Opfern und Zeugen

Zur Stärkung der Rechte von jugendlichen Opfern und Zeugen von Straftaten wird die Schutzaltersgrenze in verschiedenen Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes von derzeit 16 auf nunmehr 18 Jahre heraufgesetzt. Das Ministerium erläutert, dass künftig auch bei 16- und 17-jährigen Zeugen etwa die Öffentlichkeit ausgeschlossen, der Angeklagte zum Schutz des Zeugen aus dem Gerichtssaal entfernt oder der Zeuge per Video befragt werden kann. Diese neue Altersgrenze werde der altersspezifischen Belastungssituation besser gerecht. Sie entspreche zudem der Schutzaltersgrenze, die zahlreichen internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zugrunde liegt. Zudem werde ein Gleichklang mit der Altersgrenze hergestellt, bis zu der jugendlichen Beschuldigten besonderer Schutz zukommt.

Längere Verjährungsfrist bei Genitalverstümmelungen

In den Fällen von Genitalverstümmelungen bei Kindern und Jugendlichen, die durch Erziehungsberechtigte veranlasst wurden (Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 StGB), beginnt die zehnjährige Verjährungsfrist künftig erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Opfers zu laufen. Damit werde berücksichtigt, dass es Opfern solcher Straftaten häufig faktisch nicht möglich ist, solche Taten anzuzeigen, solange sie noch minderjährig und fest in das Familienleben eingebunden sind. Die verlängerte Strafverfolgungsmöglichkeit soll dabei auch abschreckend wirken.

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