Sozialversicherungsträger setzen BSG-Urteil zum Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses bei Freistellung um

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.06.2009

Bei ihrer jüngsten Besprechung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs haben der der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Bundesagentur für Arbeit vereinbart, das Urteil des BSG zum Fortbestand des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses bei Freistellung von der Arbeitspflicht (BSG, Urt. vom 24.9.2008 - B 12 KR 22/07 R, NZA-RR 2009, 272) umzusetzen.

In der jetzt veröffentlichen Niederschrift der Besprechung vom 30./31.3.2009 heißt es insoweit:

Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung für den Fortbestand eines (versicherungspflichtigen) Beschäftigungsverhältnisses gefordert, dass einerseits der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft gegen die vereinbarte Vergütung dem Arbeitgeber zur Verfügung stellt und andererseits der Arbeitgeber seine Dispositionsbefugnis bzw. Verfügungsgewalt gegenüber dem Arbeitnehmer bzw. dessen Arbeitskraft rechtlich und tatsächlich ausübt (vgl. u.a. Urteile vom 18.09.1973 - 12 RK 15/72 -, USK 73151, und vom 31.08.1976 - 12/3/12 RK 20/74 -, USK 7698). Der für die Annahme einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und deren Fortbestand erforderliche „Vollzug" der Arbeit besteht zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes idealtypisch in der realen Erbringung der Arbeitsleistung. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung setzt aber nicht zwingend eine tatsächliche Arbeitsleistung voraus. So besteht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch in bestimmten Fällen der Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts eine versicherungspflichtige Beschäftigung (vgl. beispielsweise Urteile vom 15.12.1971 - 3 RK 87/68 -, USK 71205, zur Unterbrechung der Arbeitsleistung während Streik und Aussperrung; vom 12.11.1975 - 3/12 RK 13/74 -, USK 75167, zur Freistellung während eines Studiums; vom 26.03.1980 - 3 RK 9/79 -, USK 8062, zur Freistellung während Erholungsurlaubs; vom 26.11.1985 - 12 RK 51/83 -, USK 85130, zur Freistellung bei Annahmeverzug des Arbeitgebers nach Konkurseröffnung oder vom 14.09.1989 - 4 RA 56/88 -, BSGE 65, 266, zur Freistellung für Wehrübung).

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum leistungsrechtlichen Beschäftigungsbegriff im Zusammenhang mit der Sperrzeitregelung in der Arbeitslosenversicherung (vgl. Urteile vom 25.04.2002 - B 11 AL 65/01 R -, BSGE 89, 243, und vom 18.12.2003 - B 11 AL 35/03 R -, BSGE 92, 74) haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung die Auffassung vertreten, dass bei unwiderruflicher Freistellung von der Arbeitsleistung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, z.B. durch einen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bereits mit dem letzten Arbeitstag endet, da in diesen Fällen auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers und die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers unwiderruflich endet (vgl. Punkt 4 der Niederschrift über die Besprechung zu Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 05./06.07.2005). Dieser Auffassung hat das Bundessozialgericht in neuerer Rechtsprechung widersprochen (vgl. Urteile vom 24.09.2008 - B 12 KR 22/07 R -, USK 2008-79, und B 12 KR 27/07 R - USK 2008-95).

Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung ist es nach Auffassung des Bundessozialgerichts für das Vorliegen einer Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ausreichend, wenn der Beschäftigte bei Fortbestand des rechtlichen Bandes aufgrund gesetzlicher Anordnung oder durch eine besondere vertragliche Abrede von seiner - damit jeweils als grundsätzlich weiter bestehend vorausgesetzten - Leistungspflicht befreit wird. Soweit die Versicherungspflicht darüber hinaus Entgeltlichkeit erfordert, kann dieser Voraussetzung auch dadurch genügt werden, dass sich ein Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer entsprechenden vertraglichen Regelung oder aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung (etwa § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, §§ 1, 11 Bundesurlaubsgesetz, §§ 615, 616 BGB) ergibt.

Die Versicherungspflicht Beschäftigter und folglich auch die sie begründende entgeltliche Beschäftigung enden hiernach grundsätzlich mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses. Die Bewertung vollzieht sich damit wesentlich nach dem Bestand des Rechtsverhältnisses, im Arbeitsrecht also des Arbeitsverhältnisses. Maßgeblich ist daher auch für das Ende der Beschäftigung grundsätzlich nicht bereits die Einstellung der tatsächlichen Arbeitsleistung, sondern das kumulative Entfallen sowohl des arbeitsvertraglichen Bandes wie auch sonstiger Umstände, die im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung dessen Vollzug im vorstehend beschriebenen Sinne begründen.

Von einem Fortbestand des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in Übereinstimmung mit dem Arbeitsverhältnis ist die Rechtsprechung auch ausgegangen, wenn durch Arbeitsgerichtsurteil oder arbeitsgerichtlichen Vergleich (z.B. bei Umwandlung einer fristlosen in eine fristgerechte Kündigung) das Ende des Arbeitsverhältnisses auf einen Zeitpunkt nach dem letzten Arbeitstag festgelegt und dem Arbeitnehmer für die Zeit nach Beendigung der tatsächlichen Arbeitsleistung das bisherige Arbeitsentgelt oder ein Teilarbeitsentgelt gezahlt wird (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 25.09.1981 - 12 RK 58/80 -, USK 81268, und vom 25.10.1990 - 12 RK 40/89 -, USK 9055). Legen hier folglich die Parteien im arbeitsgerichtlichen Vergleich bei entgeltlicher Freistellung des Arbeitnehmers von jeglicher Arbeitsleistung bis dahin einen zeitlich nach dem Vergleichsschluss liegenden künftigen Zeitpunkt für das Ende des Arbeitsverhältnisses fest, ist hierdurch - und nicht bereits - mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses - gleichzeitig das Ende der Beschäftigung bestimmt. Dabei wird jeweils hingenommen, dass eine Wiederaufnahme der tatsächlichen Arbeitsleistung nicht mehr vorgesehen war und andererseits in Rechnung gestellt, dass es einer Vereinbarung über die Freistellung gerade nicht bedurft hätte, wenn sich die Beteiligten bereits zum Zeitpunkt ihres Abschlusses endgültig und insgesamt von ihren vertraglichen Bindungen hätten lösen wollen.

Vom Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses ist demnach auch dann auszugehen, wenn die Arbeitsvertragsparteien im gegenseitigen Einvernehmen unwiderruflich auf die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung verzichten (z.B. durch einen Aufhebungsvertrag bzw. Abwicklungsvertrag). Auch in diesen Fällen ist das sozialversicherungsrechtliche Schutzbedürfnis wie in allen sonstigen Zeiten, für die gesetzliche oder vertragliche Regelungen Rechtsfolgen gerade hinsichtlich einer als bestehend vorausgesetzten Arbeitspflicht begründen und Entgelt auf besonderer Grundlage gezahlt wird, nicht geringer als bei tatsächlicher Erfüllung der arbeitsrechtlichen Hauptpflichten. Ebenso finden die Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers und dessen Eingliederung in einen ihm vorgegebenen Arbeitsablauf auch in einer derartigen Lage noch hinreichend Ausdruck und sind nicht stärker reduziert als in sonstigen Fällen der fortbestehenden Beschäftigung bei unterbrochener Arbeitsleistung.

Die Besprechungsteilnehmer halten daher an ihrem Besprechungsergebnis vom 05./06.07.2005 nicht weiter fest. Das durch nichtselbstständige Arbeit in einem Arbeitsverhältnis, das tatsächlich vollzogen wurde, begründete versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis endet bei einer vereinbarten Freistellung von der Arbeitsleistung zum Ende des Arbeitsverhältnisses demnach nicht bereits mit der Einstellung der tatsächlichen Arbeitsleistung, sondern mit dem regulären (vereinbarten) Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsentgelt gezahlt wird.

Hiernach ist spätestens für Zeiträume ab 01.07.2009 zu verfahren.

Weitere Themen der Besprechung waren

  • die versicherungsrechtliche Beurteilung beschäftigter Mitglieder von Organen EU-mitgliedstaatlicher Kapitalgesellschaften
  • die Auswirkungen des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze auf das Versicherungs-, Beitrags- und Melderecht
  • die beitragsrechtliche Behandlung von nach § 37b EStG pauschal versteuerten Sachzuwendungen; hier: Sachzuwendungen  an Dritte
  • die beitragsrechtliche Behandlung von vom Arbeitgeber zu tragenden Studiengebühren
  • die Erstattung von zu Unrecht entrichteten Beiträgen zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung; hier: Beginn der Verjährung
  • die Arbeitgebereigenschaft und Arbeitgeberpflichten in den Fällen des § 11 Abs. 2 JFDG (Gesetz über die Jugendfreiwilligendienste, also freiwilliges soziales bzw. ökoklogisches Jahr).

Das Besprechungsergebnis sowie die aus ihm resultierenden Rundschreiben sind im Internet unter www.aok-business.de verfügbar.

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1 Kommentar

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.....haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung die Auffassung vertreten, dass bei unwiderruflicher Freistellung von der Arbeitsleistung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, z.B. durch einen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bereits mit dem letzten Arbeitstag endet, da in diesen Fällen auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers und die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers unwiderruflich endet....

Hier scheint es wohl eine große Lücke zu geben.

Wenn ein Arbeitnehmer z.B. zum 30.07. gekündigt wird und noch nicht abgegoltenen Urlaubsanspruch ausgezahlt bekommt, sich rechtzeitig am ersten Arbeitstag des kommenden Monats arbeitslos meldet, hat er erst Anspruch auf Arbeitslosengeld nach der Zeit, für die er Urlaubsentgelt erhalten hat.

Soweit, so gut ....

Wenn er aber in dieser Zeit krank wird, erhält er kein Arbeitslosengeld und auch kein Krankengeld, weil die Krankenkasse sich auf den Standpunkt stellt, der Arbeitnehmer sei nicht versichert. Er hat jedoch die Möglichkeit, sich als Familienmitglied bei seiner Frau mitzuversichern. Jetzt ist er krankenversichert. Aber Krankengeld bekommt er dennoch nicht, weil jetzt kein Anspruch auf Krankengeld besteht.

So steht ein Arbeitssuchender zwei Monate ohne irgendwelche Bezüge da und meldet sich mehr oder weniger krank dennoch als Arbeitsuchender, um wenigstens nach zwei Monaten dann Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben.

FAZIT: Die Maschen der sozialen Gesetzgebung sind sehr groß ....

Pech gehabt, zur falschen Zeit krank geworden ....

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