Diskriminierende Kündigung: Schadensersatz neben der Kündigungsschutzklage?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.06.2009

Beim EuGH ist derzeit die Rechtssache Pontin (C-63/08) anhängig, die Auswirkungen auf das deutsche Recht, namentlich § 2 Abs. 4 AGG, haben könnte (siehe auch schon BeckBlog vom 31.12.2008):

 

I.     Sachverhalt und Fragestellung

Die Klägerin ist seit 2005 bei der Beklagten in Luxemburg beschäftigt. Anfang 2007 war sie erkrankt. Die Beklagte kündigte ihr Arbeitsverhältnis unter dem 18.1.2007 ordentlich zum Quartalsende und, nachdem die Klägerin trotz Nichtvorlage einer Folgebescheinigung ihre Arbeit nicht wieder aufgenommen hatte, unter dem 25.1.2007 außerordentlich. Unmittelbar nach Zugang dieser zweiten Kündigungserklärung teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie schwanger sei.

Ihre gegen die Kündigung gerichtete Klage wurde aus prozessualen Gründen vom Tribunal du travail Esch-sur-Alzette rechtskräftig abgewiesen. Mit einer neuen Klage beantragt Frau Pontin nunmehr die Gewährung von Schadensersatz wegen rechtsmissbräuchlicher Kündigung. Das Gericht hat im Hinblick auf das Verbot der Kündigung Schwangerer und das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 10, Art. 12 RL 92/85/EG) Bedenken gegen die sehr kurzen Fristen für die Kündigungsschutzklage. Zudem möchte es wissen, ob die luxemburgische Regelung, die im Falle der Unwirksamkeit einer Kündigung dem Arbeitnehmer nur alternativ Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder Schadensersatz gewährt, mit der RL 76/207/EWG vereinbar ist.

Generalanwältin Trstenjak hat am 31.3.2009 ihre Schlussanträge gestellt.

 

II.    Schlussanträge

  1. Art. 2 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 9. 2002 geänderten Fassung ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens so auszulegen, dass dann, wenn nach nationalem Recht im Allgemeinen die Möglichkeit der Schadensersatzklage bei arbeitgeberseitiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist, dieser Klageweg auch der schwangeren Arbeitnehmerin bei arbeitgeberseitiger Kündigung offenstehen muss.
  2. Art. 10 und 12 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. 10. 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz sind dahin gehend auszulegen, dass sie einer im Voraus festgelegten Frist von acht Tagen zur Unterrichtung des Arbeitgebers über eine bestehende Schwangerschaft unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren erkennbaren nicht entgegenstehen.
  3. Die Anwendung einer fünfzehntägigen Ausschlussfrist zum Einreichen einer Kündigungsschutzklage im Fall arbeitgeberseitiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Schwangerschaft, die bereits ab Absenden des Kündigungsschreibens läuft, ist dann nicht mit den Art. 10 und 12 der Richtlinie 92/85 vereinbar, wenn die Dauer dieser Frist gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes sowie die Grundsätze der Gleichwertigkeit und Effektivität verstößt.

 

III.  Bewertung und Konsequenzen

Die materiell-rechtliche Frage nach der Parallelität von Kündigungsschutz und Schadensersatz hat in Deutschland Bedeutung v.a. im Hinblick auf § 2 Abs. 4 AGG. Danach gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und zum besonderen Kündigungsschutz. Dies wird vom BAG bislang dahingehend interpretiert, dass zwar bei der Auslegung der Kündigungsschutzbestimmungen die Diskriminierungsverbote des § 1 AGG zur Geltung zu bringen sind, Benachteiligungen bei einer Entlassung aber nicht noch zusätzlich durch Schadensersatz und Entschädigung (§ 15 Abs. 1 und 2 AGG) zu sanktionieren sind (BAG, Urt. vom 6.11.2008 - 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361 Rn. 40).

Diese Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf den Entlassungsschutz ist nach Ansicht der Generalanwältin mit EG-Recht vereinbar. Nur wenn nach nationalem Recht „im Allgemeinen die Möglichkeit der Schadensersatzklage bei arbeitgeberseitiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist", darf dieses Recht nicht gerade schwangeren Arbeitnehmerinnen vorenthalten werden. § 2 Abs. 4 AGG schließt aber Schadensersatz und Entschädigung bei diskriminierenden Kündigungen generell aus.

Die prozessualen Fragen betreffend die Klagefrist blieben, wenn sich der Gerichtshof der Generalanwältin anschließt, wohl ohne Konsequenzen. Die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG beginnt erst mit Zugang der Kündigung. Erfährt die Arbeitnehmerin erst nach Fristablauf von ihrer Schwangerschaft, eröffnet § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Möglichkeit der nachträglichen Klagezulassung. Damit ist dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Genüge getan. 

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