Bernt Hugenholtz: 95 Jahre Schutzdauer ist zuviel

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 20.05.2009

Hier mal ein Bericht über eine Vortragsveranstaltung des hiesigen Instituts für Medienrecht. Prof. Dr. Bernt Hugenholtz kritisierte am vergangenen Montag die Eu-Kommission heftig für die angedachte Verlängerung der Schutzrechte für Musiker und Tonträgerhersteller auf 95 Jahre:

„Good lobbying, Folks!"

 

Argumente gegen das europäische Vorhaben der Verlängerung der Leistungsschutzfristen für Tonträgerhersteller

 

Vortrag von Professor P. Bernt Hugenholtz am ITM am 18. Mai 2009

 

Professor P. Bernt Hugenholtz ist Direktor des Instituts für Informationsrecht an der Universität von Amsterdam (IViR) und lehrt eben dort niederländisches und internationales Urheberrecht sowie das Recht des gewerblichen Rechtsschutzes. Seit Jahren freundschaftlich verbunden, konnte Professor Thomas Hoeren ihn am gestrigen Montag (18. Mai 2009) in den mehr als voll besetzten Räumlichkeiten des ITM begrüßen. Hugenholtz hielt einen engagierten Vortrag gegen die auf europäischer Ebene geplante Verlängerung der Leistungsschutzfrist für die Rechte der Tonträgerhersteller von derzeit 50 auf 95 Jahre nach US-amerikanischem Vorbild (Änderung der Richtlinie 2006/116 EG durch den Vorschlag der Kommission COM (2008) 464 vom 16. Juli 2008). Nachdem sich das Europäische Parlament am 23. April 2009 auf einen „Kompromiss", nämlich eine Verlängerung auf 70 Jahre, geeinigt hatte, blockiert derzeit noch eine Minderheit im Ministerrat die endgültige Entscheidung. Die geplante Änderung umfasst neben der Fristverlängerung für alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht abgelaufenen Schutzrechte auch begleitende Maßnahmen wie eine „Gebrauch-es-oder-verlier-es"-Klausel, die jedwede Rechtsübertragung zwischen Künstlern und Musikproduzenten für den Fall unterlassener Vermarktung der Musik rückgängig macht, und eine Klausel, nach der vor allem weniger bekannten Studio- und Tourmusikern, die auf Tantiemen angewiesen seien, eine 20prozentige Beteiligung garantiert wird. Die zusätzlichen Einnahmen sollen die Tonträgerhersteller zu einem Großteil auf die Suche neuer Talente verwenden.

 

Das gesamte Vorhaben hat einen kollektiven Aufschrei unter den europäischen Urheberrechtlern ausgelöst. Hugenholtz stellte in fünf wesentlichen, empirisch durch eigene Recherche untermauerten Argumenten dar, dass der Kommissionsvorschlag keineswegs dem Schutz des „kleinen Künstlers" diene, sondern vielmehr die Reaktion der Musikindustrie auf die zunehmenden Verluste durch illegale Downloads spiegle und damit letztlich Auswirkung eines enormen Lobbyismuserfolgs der Tonträgerhersteller sei.

 

Als erstes sei der Sinn und Zweck der Änderung in Bezug auf die ratio legis der Tonträgerleistungsschutzrechte kritisch zu hinterfragen. Letztlich soll der Industrie hier ein Investitionsanreiz geboten werden. Unter Berücksichtigung des Schutzes von Marketing- und Namensrechten über das Markenrecht und der Tatsache, dass sich die Produktionskosten im Zuge der Digitalisierung der Aufnahmetechnik um ein Vielfaches reduziert haben, kam Hugenholtz unzweifelhaft zu dem Ergebnis, dass eine Schutzfrist von 50 Jahren mehr als genug Investitionsanreiz biete. Dies zeige auch ein Vergleich mit den Schutzfristen für Schutzgegenstände wie Patente oder Leistungsschutzberechtigte wie Datenträgerhersteller, die mit 20 bzw. sogar nur 15 Jahren um einiges geringer ausfielen. Patentrechtsinhaber erhielten keine vergleichbare Kompensation, obwohl Patente einen ähnlichen, wenn nicht sogar um einiges erhöhten wirtschaftlichen Wert für den Rechtsinhaber darstellen könnten.

 

Weiterhin gab Hugenholtz zu Bedenken, dass die Schutzfristverlängerung erhebliche Auswirkungen auf bereits geplante oder schon in Gang gesetzte umfangreiche Digitalisierungsprojekte habe, denn ein Großteil der Rechte an auf Tonträgern aufgenommener Musik aus den fünfziger und bald auch sechziger Jahren würde (unbeschadet der länger währenden Urheberrechte der Komponisten und Texter) ohne die geplante Änderung in den nächsten Jahren gemeinfrei werden. Auch an das Versprechen, dass sich durch die Verlängerung der Schutzfrist keine höheren Kosten für Musikverbraucher ergeben würden, mag Hugenholtz angesichts der durch sein Institut ermittelten Mehrkosten in Milliardenhöhe  nicht glauben. Schließlich sei die Bedeutung der 20-Prozent-Kompensation für Studio- und Tourmusiker gering; sie belaufe sich kaum auf mehr als 4 bis 58 Euro im Jahr. Die wahren Nutznießer seien nach wie vor die Musikproduzenten. Hier könne mit deutlich effektiverem Ergebnis zu Gunsten weniger bekannter Künstler das Vertragsrecht angepasst werden.

 

In der anschließenden angeregten Diskussion mit den Zuhörern wurden die Argumente hinterfragt und vertieft; so kam unter anderem zur Sprache, dass sich im Fall der Durchsetzung des Kommissionsvorschlags Probleme der Gleichbehandlung im Vergleich mit anderen Leistungsschutzberechtigten wie zum Beispiel Schauspielern ergeben würden.

 

 

Elke Berding

(Wissenschaftliche Mitarbeiterin)

Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht

Zivilrechtliche Abteilung

 

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1 Kommentar

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Und wenn die 50er und 60er Jahre dann einmal wieder als gemeinfreie Zeit anstehen wird es wieder verlängert. Von 70, 95 Jahre auf Unendlich+3. Das ist ja der Inhalt des sog. Disney-Paragraphen. Es ist zu vermuten bzw. das offensichtliche zu unterstellen: es ist nicht gewollt, das irgendwann einmal ein Schutzrecht dieser Art ausläuft. Die Lobby dafür ist zu groß.

 

Nur Erinnerung: das Urheberrecht bezieht sich auf "Kunst" im engeren wie weiteren Sinne. Bei der Ausweitung von 50 auf 95 Jahre von einem "Investitionsanreiz" zu sprechen ist mithin eine Perversion. Die Frage ist allenthalben wieso es in den 50ern und 60ern überhaupt Musik und Filme gegeben hat. Folgte man der Industrie, dann wäre ein auslaufen der Schutzrechte gleichbedeutend z.B. mit dem Ende der Musik. Oder (noch genauer): wenn die Musik der 50er keine Einnahmen mehr bringt gibt es keine aktuelle Musik mehr.

Die absurdität der Argumentation leuchtet. Nur ist es nicht der Glanz der Logik oder des Verstandes. Es ist der Glanz des Geldes.

 

Grüße

ALOA

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