Heimliches Abhören der Gespräche eines Beschuldigten mit seiner Ehefrau im Besuchsraum während der Untersuchungshaft unzulässig

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 29.04.2009

Mit seinem heute verkündeten Urteil (Az 1 StR 701/08) stärkt der 1. Strafsenat des BGH die Beschuldigtenrechte (Pressemitteilungdie Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor) und setzt damit konsequent die bisherige Rechtsprechung zum "Kammeragenten", zu § 136a StPO und den Grundsätzen fairen Verfahrens fort, die schon im Ausbildungsbereich zu den Grundlagen zählt: 

Der Inhalt des abgehörten, den Angeklagten erheblich belastenden Gesprächs zwischen ihm und seiner Ehefrau im Besuchsraum während der Untersuchungshaft  dürfe nicht als Beweismittel in dem wegen Mordes geführten Verfahren verwertet werden. Zwar verletze die Anordnung der Abhörmaßnahme weder § 100f StPO noch stelle sie einen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung dar, weil der Besuchsraum in einer Haftanstalt nicht einer Wohnung gleichstehe und weil Gespräche über Straftaten, wie sie der Angeklagte mit seiner Ehefrau im vorliegenden Fall führte, ohnehin nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören. Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden verstoße im vorliegenden Fall aber gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Bei dieser Wertung sei zum einen die besondere Situation des Angeklagten in der Untersuchungshaft zu berücksichtigen, die dadurch gekennzeichnet sei, dass die Kontaktmöglichkeiten zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau auf die genehmigten Besuche beschränkt waren und keinerlei Ausweichmöglichkeiten für private Gespräche mit höchstpersönlichem Inhalt bestanden. Zum anderen falle das außergewöhnliche Vorgehen der Ermittlungsbehörden ins Gewicht. Da Besuche nach § 119 Abs. 3 StPO, Nr. 27 UVollzO in der Regel erkennbar zu überwachen sind, habe aufgrund der getroffenen Maßnahmen (Zuweisung eines separaten Besuchsraums ohne sichtbare Überwachung durch Vollzugsbedienstete) bei dem Angeklagten der Eindruck entstehen müssen, dass er sich mit seiner Ehefrau offen und ohne die Gefahr, überwacht zu werden, über die ihm zur Last gelegten Straftaten unterhalten könne. Angesichts der besonderen Situation des Untersuchungshaftvollzugs sei dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden zur Erlangung einer prozessverwertbaren Selbstbelastung des Angeklagten schon vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich verankerten Verbots eines Zwangs zur Selbstbelastung ("nemo tenetur se ipsum accusare") bedenklich. Zudem nähere sich die von normalen Abläufen in der Untersuchungshaft bewusst abweichende Schaffung einer unüberwacht wirkenden Gesprächssituation der Grenze zu einer unzulässigen Täuschung, auch wenn letztlich nur eine Fehlvorstellung des Angeklagten gefördert und ausgenutzt worden sei. Jedenfalls in der Gesamtschau stelle sich die Abhörmaßnahme als ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar.

Für Nichtjuristen: Das bedeutet keinen Freispruch. Der BGH hat im Revisionsverfahren aufgrund der erfolgreichen Verfahrensrüge die Verurteilung wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe aufgehoben und an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

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