Gesetzentwurf zu Internetsperren im Kabinett beschlossen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 22.04.2009

Heute ist im Bundeskabinett ein Gesetzentwurf zu Internetsperren beschlossen worden. Zu den Planungen wurde hier im Blog schon ausgiebig diskutiert. Die Kritik, das BKA werde, wie von  Bundesministerin von der Leyen ursprünglich geplant, ohne Rechtsgrundlage Zensur ausüben, wird nach Inkraftreten eines solchen Gesetzes wohl nicht mehr erhoben werden können.

Probematisch ist dennoch, dass mit diesem geplanten Gesetz dem BKA, also nicht näher bestimmten Polizeibeamten ohne juristische oder Gremienkontrolle ermöglicht werden soll, die Seiten auszuwählen, die dann von den Providern durch Umleitung auf ein Stopp-Schild gesperrt werden sollen. Irgendeine Bestimmung darüber, wer mit welcher Ausbildung und nach welchen Kriterien beim BKA bestimmen soll, welche Seiten auf die Sperrliste gehören, ist im Entwurf nicht enthalten. Dies ist deshalb besonders problematisch, weil nicht nur kinderpornographische Seiten gesperrt werden sollen, sondern auch solche Seiten, die auf kinderpornographische Seiten verlinken. Auch darüber soll das BKA arbeitstäglich eine Entscheidung treffen. So fragt sich, ob etwa wikileaks betroffen wäre, wenn dieser Anbieter etwa aus politischen Gründen auf eine Sperrliste verlinkt, um zu zeigen, dass diese tatsächlich nur wenige Webseiten mit Kinderpornographie enthält. Es wäre schon äußerst bedenklich, wenn so dem BKA ermöglicht würde, Kritik an seiner Tätigkeit zu unterbinden.

Ein effektiver Rechtsschutz gegen die Maßnahmen des BKA ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Es ist nur vorgesehen, dass der Staat für evtl. Fehler des BKA haftet und nicht die Provider. Obwohl ich kein Verfassungsrechtler bin, bezweifle ich, dass dies dem GG entspricht - Art. 5 GG und Art. 19 Abs.4 GG.

Den Zugangsweg zu erschweren, ist außerdem bei Weitem zu wenig, um gegen Kinderpornographie im Internet vorzugehen. Stellen Polizeibeamte bei ihrer Recherche ein kinderpornographisches Angebot fest, so sind sie umgehend zu Ermittlungen verpflichtet und haben nicht nur umzuleiten, sondern den entsprechenden Verantwortlichen unmittelbar zu verfolgen und natürlich auf ein Abschalten der Seiten hinzuwirken. Vieles deutet darauf hin, dass hier nur aus plakativen Gründen ein problematisches und weitgehend ungeeignetes Gesetz gemacht werden soll.

Zudem liegt nach ausländischen Erfahrungen die Annahme nicht ganz fern, dass künftig auch andere unerwünschte Web-Inhalte ohne gerichtliche Kontrolle  polizeilicherseits gesperrt werden sollen (z.B. Urheberrechtsverstöße, rechtsradikale und linksradikale Propaganda, Glücksspielseiten).

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60 Kommentare

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Ich möchte Kommentar Nr. 50 zu diesem Posting gerne – losgelöst von der Diskussion – nutzen, um die Plattform beck-blog zu loben. Ich bin nicht der erste der es sagt und gehe davon aus, nicht der letzte zu bleiben. Trotzdem: Das hier ist eine tolle Sache, die Plattform bietet Juristen und Interessierten nicht nur die Möglichkeit, sich höchst aktuell über juristische Entwicklungen auszutauschen. Beachtlich vielmehr: Dass diese Möglichkeit so rege gebraucht wird. 

Die Stimmenvielfalt und Aktualität, die auf diese Weise in die Debatte gebracht wird, zeigt einmal mehr, welche Chancen für die Gesellschaft im Internet liegen.

Besonderes Kompliment an den Verfasser des Beitrags: Es ist auch heute bei weitem nicht selbstverständlich, dass der Autor eines Artikels sich so engagiert auf den Dialog mit der Leserschaft einlässt. 

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Sehr geehrter Herr Niemeyer,

Lob hört man gern, danke. Ich werde es auch an den Blog-Manager, Herrn Zosel, weiterleiten, der diese Plattform hervorragend aufgebaut hat und betreut.

Zur Sache: Ich (parteipolitisch ungebunden) sehe mich in der Bundestagsdebatte am ehesten im Beitrag von Max Stadler, FDP, vertreten. Insofern sind die kritischen Stimmen aus dem Internet nicht ungehört verhallt.

Beste Grüße an alle Mitdiskutanten

 

 

Sehr geehrter Herr Markl,

da bin ich gespannt, was bei Ihrer Anfrage an den Ombudsmann herauskommt, bitte berichten Sie hier!

Die 18-Jahresgrenze stammt meiner Erinnerung nach aus der UN convention on the rights of the child von 1989 (Art. 1) und wurde bei deren Protokollergänzung zur Kinderpornographie (2000/2002) unverändert übernommen. Deutschland wurde meines Wissens sogar von anderen Ländern unter Druck gesetzt, die 18-Jahres-Grenze zu akzeptieren (Quelle dazu müsste ich recherchieren), dies ist also keine Idee der deutschen Politik.

Besten Gruß
Henning Ernst Müller

P.S. an alle : Der Datenschutzblog von Jens Ferner stellt eine (ständig aktualisierte) Übersicht zum Thema Netzsperren zur Verfügung. Für alle, die sich zum Thema Netzsperren, Petition, Politikerreaktionen noch umfassender informieren wollen, ein gutes Sprungbrett.

 

 

 

Christian Sprang, Justitiar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels fordert in der FAZ von heute ("Die Entdeckung der Allzweckwaffe" auf Seite 10) Netzsperren gegen Urheberrechtsverstöße:

"Ich sehe gar keinen anderen Hebel als Internetsperren", sagt Sprang. "Ich bin entschieden dagegen, zu sagen, Kinderpornographie sei ein Sonderfall."

 

 

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

am 24.04.2009 waren Heinrich Sievers, Leiter des Referats Glücksspiel, Hessisches Innenministerium, Wiesbaden (und auch
Dr. Christian Sprang) bei der Tagung "Netzsperren: Access-Provider - die neuen Gatekeeper des Rechts?" in Köln: Sievers hat (wahrscheinlich ohne zu verstehen, was er da grade sagt) sinngemäß gesagt, dass er ein Chinesisches Sperrsystem begrüßen würde, um ausländische Glücksspielanbieter zu sperren (und das trotz des meiner Kenntnis nach anhängigen Verlagsverletzungsverfahrens gegen die BRD wegen des Glücksspielmonopols). Dr. Sprang sprach sich auch schon dort für Sperren aus. Fritz Schramma, OB von Köln, implizierte in seiner Begrüßungsrede auch die Sperrung von anderen Inhalten, ebenso Roswitha Müller-Piepenkötter.

Und Dieter Gorny hat das Sperrvorhaben nicht nur deswegen begrüßt, weil Kinderpornographie gesperrt wird.(1) Der sollte sich lieber mal Gedanken um alternative Vergütungssysteme machen...

Das ist ein ganz gefährlicher und auch noch unsinniger Weg, den die Politik da grade einschlägt. Alles andere als Zukunftsweisend.

MfG
le D

(1) Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie, hakte sich sogleich bei der Ministerin ein: „Der Vorstoß der Familienministerin zum Verbot von Kinderpornografie im Internet ist ein richtiges Signal. Es geht um gesellschaftlich gewünschte Regulierung im Internet, dazu gehört auch der Schutz des geistigen Eigentums.“ zitiert aus http://www.heise.de/ct/Die-Argumente-fuer-Kinderporno-Sperren-laufen-ins...

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Der blog "Spreeblick" von Johnny Häusler hat einen Brief von Frau von der Leyen erhalten, in dem sie sich mit den Argumenten der Gegner der Netzsperren auseinandersetzt. Im Spreeblick-Blog wird auch auf einige der darin befindlichen Äußerungen der Ministerin eingegangen, lesenwert.

 

Ich frage mich ja schon wenn, alles mit Stoppschildern und Umleitungen auf Stopservern die dann auch noch deine Daten speichern versehen wird, wodurch du dich dann auch noch verdächtig machst wenn, du versehentlich auf so einen Server landest, führt das dann nicht das ganze Internet ad absurdum wenn, man sich Porno Seiten anschauen will muss, man sie erst suchen über eine Suchmaschine und dann die links anklicken, um zu schauen was dahinter ist da is das Risiko hoch das du schiecher ein paar Mal auf Stopserver kommst, da muss man also bei jeder suche Angst haben das das BKA vor deiner Tür steht weil du ein paarmal zu oft auf solche Server kamst und es muss, ja noch nicht mal Porno sein es reicht ja schon wenn, in nenn WIKI irgendwo so ein link is.
Ps. da stellt sich für mich die Frage für was will ich dann noch Internet wenn, ich es nicht mehr ohne Angst benutzen kann?

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Internetsperre gegen Abofalle in Italien:

Der italienische Staat hat anscheinend die anonym betriebene Abofallenseite italia-programmi.net mit einer Internetsperre via DNS geblockt, nachdem auch Staatspräsident Giorgio Napolitano eine Rechnung über 96 € erhalten hat.

 

Dazu gab es anscheinend in Mailand eine Gerichtsentscheidung und eine entsprechende Anordnung der Staatsanwaltschaft an alle Internetprovider in Italien.

 

Quellen:

http://www.webnews.it/2012/04/03/italia-programmi-net-decisione-del-gip/

(Übersetzung)

http://www.anti-phishing.it/truffe-on-line/2012/04/03/2038

(Übersetzung)

 

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