Zum Mythos des sog. "Augenblicksversagens"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 23.03.2009

Kein anderer Begriff wird in Ordnungswidrigkeitenverfahren bei drohendem Fahrverbot (§ 25 StVG) mehr strapaziert als der des Augenblicksversagens: In sicher jedem zweiten Verfahren wird es - meist pauschal - behauptet, wenn nämlich ein Fahrer die Geschwindigkeitsbeschränkung "verschlafen" hat und sich dies im Nachhinein gar nicht richtig erklären kann. Dabei ist es hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitungen mit dem Augenblicksversagen relativ einfach (hier ein bearbeiteter Teil aus meinem Aufsatz: Anwaltsstrategien bei drohendem Fahrverbot" NJW 2007, 257):

Einer Fahrverbotsanordnung neben dem Bußgeld bedarf es nicht, wenn der Betroffene infolge Augenblicksversagens fahrlässig eine Verkehrsordnungswidrigkeit begeht, die nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft. Drängt sich Augenblicksversagen nicht auf, so muss es nur auf entsprechende Einlassung des Betroffenen geprüft werden. Gemeint ist hier eine nachvollziehbare Einlassung. Die Gesichtspunkte des Einzelfalls müssen also so ausführlich dargelegt werden, dass der Tatrichter in seinem Urteil für seine Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalls eine auf Tatsachen gestützte Begründung geben kann, die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpft. Wichtig ist auch die Unterstützung der Einlassung durch Beweisanträge, da ein späteres Nachschieben von Gründen vom Rechtsbeschwerdegericht nicht berücksichtigt wird.Augenblicksversagen liegt bei Geschwindigkeitsverstößen vor, wenn der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein geschwindigkeitsbegrenzendes Zeichen übersehen hat und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, auf Grund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste. Vom Verteidiger muss also zuerst nach der Beschilderung gefragt werden und danach, ob die Straßenführung Besonderheiten aufweist, zur Tatzeit besondere Witterungsverhältnisse herrschten, Schilder gegebenenfalls durch Fahrzeuge oder Bäume verdeckt waren, der Betroffene aus besonderen Gründen abgelenkt war und wie die Umgebungsbebauung am Tatort bzw. unmittelbar davor aus Sicht des ankommenden Verkehrs beschaffen war.Skizzen, Fotos oder Videos der Örtlichkeit können in der Hauptverhandlung als Augenscheinsobjekte hilfreiche Beweismittel zur Frage der Erkennbarkeit der Beschilderung oder der Einfahrt in den Bereich einer Geschwindigkeitsbegrenzung sein; sie ersparen zudem zeitaufwändige Ortstermine.

 

Weitere Leseempfehlung: BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 = NZV 1997, 525 = DAR 1997, 450.

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1 Kommentar

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Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist es allerdings immer wieder, wie sehr sich Mandanten an Beschilderung, Straßenführung, Umleitungen, Witterung und was weiß ich alles erinnern, wo sie doch in dem "Augenblick gepennt" und noch nicht einmal ein Verkehrsschild gesehen haben wollen...

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