Die Lust am Vollrausch: Tod nach 45 Tequilas

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 13.02.2009

Das Phänomen ist bekannt, die Zahlen alarmierend: Sich besinnungslos zu trinken, ist bei vielen jungen Leuten angesagt. Im Jahr 2007 mussten 23.165 junge Leute im Alter zwischen zehn und 20 Jahren zur Ausnüchterung in Kliniken gebracht werden, im Schnitt 63 am Tag. Erstmals mussten dabei mehr Mädchen (1942) als Jungen (1837) im Alter zwischen zehn und 15 Jahren mit dem Rettungswagen abtransportiert worden - die Zahl der volltrunkenen Mädchen hat sich seit 2000 verdoppelt! Die Gesundheitspolitik ist gefordert; Informationskampagnen laufen. Aber reicht das, um dem Komasaufen entschieden entgegenzutreten ?

Seit Mittwoch hat sich in Berlin ein 28 Jahre alter Gastwirt wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verantworten (Video vom Prozessauftakt). Vorgeworfen wird ihm, am frühen Morgen des Simon 20.2.2007 in seinem Lokal mit einem 16 Jahre alten Gymnasiasten um die Wette getrunken zu haben. Während der Angeklagte vor allem Wasser trank, habe er den Schüler 45 Gläser Tequilas trinken lassen. Mit 4,4 Promille fiel der Jugendliche ins Koma und verstarb am 29.3.2007, ohne aus dem Koma erwacht zu sein (Bericht auf SPIEGEL ONLINE).

Rechtlich geht es um die Konstellation der mittelbaren Täterschaft eines Angeklagten - der nur wahrheitswidrig vorgibt, um die Wette mitzutrinken - bei einem wegen Selbstverletzung tatbestandslos handelnden Werkzeug. Der Schüler verwirklicht kein Körperverletzungs- (auch kein Tötungs-)delikt, da die Tatbestände nur bei Verletzung /Tötung "eines anderen" eingreifen. Für den Veranlasser/Förderer liegt dagegen eine tatbestandsmäßige Fremdverletzung/Fremdtötung vor. Die Strafbarkeit als mittelbarer Täter wird aber nicht schon durch die Tatbestandslosigkeit des selbsttötenden Verhaltens des Opfers begründet, sondern muss mit der Tatherrschaft des Veranlassers/Förderers begründet werden.

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7 Kommentare

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Genau (wie auch viele Jurastudenten bereits wissen werden, wenn sie die Vorlesung Strafrecht Allgemeiner Teil gehört haben): Auch der Sirius-Fall BGHSt 32,38 betrifft die dogmatische Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft bei Selbstverletzung des "Werkzeugs" durch eine Irrtumserregung mittels Täuschung (dort: er komme von dem Stern Sirius und habe den Auftrag, besonders wertvolle Menschen von der Erde auf diesen Stern zu holen). Das Herbeiführen eines Irrtums kann die Entscheidungsfreiheit des Opfers so stark beeinträchtigen, dass es zum "Werkzeug gegen sich selbst" in der Hand des Hintermanns wird.

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Gibt es eigentlich verlässliche Anhaltspunkte, warum diese Entwicklung des "Komasaufens" zunimmt und offenbar nicht einmal geschlechtsspezifische Grenzen hat?

Dieser Trend zum Suchtmittel, bei dem die eigene Wirklichkeit bewusst und brutal ausgeblendet wird, hat ja nicht erst mit den so geschmähten Alcopops angefangen, sondern scheint einigen Jahren einen stetigen Zuwachs zu bekommen. Was steckt dahinter? Sozialer Druck? Falschverstandener Hedonismus? Erziehungslosigkeit? Verwahrlosung der Gesellschaft?

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Sie stellen die Fragen, die meines Erachtens dringend wissenschaftlich untersucht werden müssen. Eingangs habe ich unter "Komasaufen" auf den Drogenbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2004 verlinkt, weil ich keinen neueren gefunden habe. Es wäre also dringend an der Zeit (sofern wir nicht irgendetwas entgangen ist)!

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Ich als Nichtjurist hab hier bei der Diskussion gerade Verständnisschwierigkeiten. Spielt es hier keine (größere) Rolle, dass ein Wirt Spirituosen an einen offensichtlich Minderjährigen ausgeschenkt hat?
Fällt das noch unter „freiverantwortliche Selbstverletzung“ wenn er doch gar nicht legal an den Schnaps hätte gelangen können?

MfG

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Sehr geehrter Herr Loth, sehr geehrter Herr Corax,

entsprechend dem Eingang Ihre Zuschriften:

(1) Völlig zutreffend. In der Sache geht es um die hinter der Exkulpations- bzw. Einwilligungslösung stehende Frage, welche Kriterien bei Identität von Werkzeug und Opfer im Grenzbereich zwischen noch strafloser Anstiftung zu fremder Selbsttötung und schon strafbarer Tötung in mittelbarer Täterschaft maßgeblich sind. Einigkeit besteht darüber, dass es auf die Freiverantwortlichkeit des Selbstverletzungsentschlusses ankommt. An die Entscheidungsfreiheit werden jedoch unterschiedliche Anforderungen gestellt und die dogmatische Konstruktion ist insbesondere bei Irrtumskonstellationen (wie der vorliegenden) nach wie vor heftig umstritten. - Angeklagt ist im konkreten Fall Körperverletzung mit Todesfolge, so dass sich die Frage nach einem bedingten Tötungsvorsatz nicht stellt, sondern lediglich Fahrlässigkeit hinsichtlich der Tötung vorliegen muss.

(2) Im konkreten Fall sind auch zahlreiche Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz angeklagt. Für die Frage einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge spielen sie allerdings keine Rolle. Der hier diskutierte Fall hat auch nichts mit der Fallgruppe zu tun, der unter dem Stichwort Gastwirtshaftung diskutiert wird: Ein Alkohol ausschenkender Gastwirt ist nach der Rechtsprechung regelmäßig nur dann verpflichtet, das Wegfahren des Gastes z.B. mit seinem Pkw mit angemessenen Grund ihm möglichen Mitteln zu verhindern, wenn der Gast offensichtlich so betrunken ist, dass er sich nach verständiger Beurteilung nicht mehr eigenverantwortlich verhalten kann. Der BGH betont die soziale Üblichkeit des Ausschank von Alkohol, der - trotz der damit verbundenen Gefahren - im Grundsatz auch rechtlich akzeptiert wird. Der Alkohol ausschenkender Gastwirt dürfe nicht auf dem Umweg über eine Garantenpflicht gleichsam zum Vormund und Hüter seiner Gäste gemacht werden. Solange der Gastwirt bei verständiger Würdigung annehmen dürfe, der Gast sei noch fähig, selbst verantwortlich zu handeln, brauche er sich in dessen Tun oder Unterlassen in der Regel nicht einzumischen.

Mit besten Grüßen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Am 3.7.2007 hat nun das Berliner Landgericht den Kneipenwirt wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie wegen vorsätzlichen Ausschanks von Alkohol an Minderjährige zu einer Haftstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Ob gegen das Urteil Revision eingelegt ist/wird, ist mir nicht bekannt.

Das Lokal wurde inzwischen geschlossen. Die Mutter des Schülers hofft, dass der Tod ihres Sohnes ihres Sohnes zu stärkeren Kontrollen führt. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Schätzing (SPD) forderte, die Gesetze zum Jugendschutz besser umzusetzen. Es sei aber vertretbar, das Bier, Wein und Sekt ab 16 Jahren zugelassen sind.

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