Da staunt der "Nichtverwaltungsrechtler": Gute Idee, aber leider rechtswidrig - Routinemäßige Motorradsicherstellung zur Entschärfung eines Unfallschwerpunktes

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.02.2009

Wenn man als "Nichtverwaltungsrechtler" verwaltungsgerichtliche Entscheidungen - hier: VGH München, Urteil vom 26.01.2009 - 10 BV 08.1422 - bespricht ist natürlich Vorsicht geboten. Dass aber eine schematische Sicherstellung von Motorrädern an einem bestimmten Tatort nach wiederholten Geschwindigkeitsüberschreitungen allein aufgrund des Erreichens von Grenzwerten des Bußgeldkatalogs (zweimal binnen eines Jahres schneller als 25 km/h oder einmalig mehr als 40 km/h Überschreitung) nicht möglich ist, daran hätte sicher auch die bayerische Polizei denken können.

Zum Sachverhalt laut Beck-Aktuell:

Wegen der auf der Bundesstraße 11 im Bereich des Kesselbergs zwischen dem Kochel- und dem Walchensee bestehenden Unfallhäufigkeit unter Beteiligung von Motorradfahrern erteilte das Polizeipräsidium Oberbayern 2007 eine Grundsatzweisung: Ein Motorrad soll sichergestellt, abgeschleppt und mindestens bis zum nächsten Morgen, an Wochenenden bis zum Montagmorgen verwahrt werden, wenn der Fahrer innerhalb eines Jahres am Kesselberg einmal die Geschwindigkeitsbegrenzung um mehr als 40 km/h beziehungsweise zweimal um mehr als 25 km/h überschreitet. ... Die Verkehrspolizei Weilheim hatte die Sicherstellung des Motorrads des Klägers angeordnet, nachdem dieser an einem Freitag im August 2007 zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen hatte. Gegen eine Bezahlung von 277,42 Euro konnte der Kläger am folgenden Montag sein Motorrad in Murnau von der Verwahrstelle abholen. 

Der VGH München zu dieser im Ergebnis wohl erfolgreichen Polizeitaktik:

Die Sicherstellung von Fahrzeugen setze voraus, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr eines in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang drohenden weiteren Verkehrsverstoßes drohe, so die Münchner Richter. Dies sei nur der Fall, wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der nächsten Zeit eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu erwarten sei. Eine solche Prognose-Entscheidung im Einzelfall könne nicht schematisch an die Höhe einer einmaligen oder zweimaligen Geschwindigkeitsübertretung geknüpft werden.... Im Regelfall müsse davon ausgegangen werden, dass die im Straßenverkehrsrecht vorgesehenen Ordnungsmittel (Bußgeld, Fahrverbot, Punkte) den normalen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindruckten, dass er nicht umgehend neue Verkehrsverstöße begehe.

Wer mal schauen will, wie es sich so "anfühlt", die Strecke zu fahren, hier eines von vielen youtube-videos (immerhin die Musik stimmt, oder?!)

Meine Frage an die Blogleser: Wird durch solch eine Sicherstellung nicht auch durch die Hintertür eine Art "vorläufiges Fahrverbot" eingeführt?  Die meisten Motorradfahrer werden ja nicht gleich Ersatz parat haben, oder?! 

Abschließender Hinweis: Die Entscheidung der Vorinstanz hier.

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12 Kommentare

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Wenigstens mit guter Musik unterlegt.

Die Strecke scheint wohl so beliebt zu sein, dass man da aus polizeilicher Sicht wohl nichts machen kann. Kontrollen werden diese Zielgruppe wohl nicht wirklich aufhalten und die Stellen, wo man gut messen kann, sind wohl auch eher rar.

Ich vermute mal, ein Verbot der Durchfahrt mit Motorrad ist nicht möglich nach der StVO? Bliebe dann wohl nur der Streckenrückbau, wenn die Unfallzahlen zu hoch sind. Alternativ könnte man auch nichts tun und auf andere Lösungsarten vertrauen. ;)

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@ Pflichtfeld

Ich vermute mal, ein Verbot der Durchfahrt mit Motorrad ist nicht möglich nach der StVO?

§41 StVO Zeichen 255

Die notwendigen verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen kenne ich allerdings nicht.
Falls die Unfallzahlen aber tatsächlich an der Stelle so signifikant hoch sind, wo dann wenn nicht dort?

MfG

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> Der VGH München zu dieser im Ergebnis wohl erfolgreichen Polizeitaktik

(aus der Pressemeldung der Polizei: "...reduzierte sich die Zahl der Verkehrsunfälle um 42 Prozent auf 20. Auch bei den verletzten Personen konnte ein deutliches Minus von 62 Prozent auf 13 verzeichnet werden.")

Erfolgreich war die Taktik wahrscheinlich vor allen Dingen deshalb, weil sich die eigenwilligen Praktiken der Polizei bei den Bikern herumgesprochen hatten und diese ihre Bergtouren lieber in andere Gebiete verlegten? Nur so eine Vermutung...

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Na wenn ein solches vorläufiges Fahrverbot insgesamt die Unfallzahlen verringert, könnte man doch darüber nachdenken, das gesetzlich zu regeln. Müsste ja nicht auf Motorradfahrer beschränkt bleiben.

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Eine Strecke für Motorräder zu sperren, ist nicht so einfach. Das haben schon andere Behörden versucht, die Hürden sind hoch (vgl. etwa BayVGH, BayVBl 1986, 754 und OVG Münster, NZV 1996, 214).

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völlig überzeugende Entscheidung; die Taktik der Polizei mag erfolgreich gewesen sein, sie ist eine Perversion des Sicherheits-und Ordnungsrechts. Dieses hat eben der Gefahrenabwehr, nach neuerer Lesart auch -prävention zu dienen, nicht der Sanktionierung von Gesetzesverstößen. Nichts anderes als eine Sanktion aber ist es, bei bestimmten Verstößen "schematisch" sicherzustellen. Eine brauchbare Gefahrenprognose ist schon die Mindestvoraussetzung.
Alles andere ist Sache des Straf- bzw. OWi-Rechts, und das muss der Gesetzgeber entscheiden. Dieser legt fest, welche Sanktionen er für wirksam hält, und die Verwaltung hat diese Befugnis nicht zu usurpieren. Das tut sie übrigens auch in anderem Zusammenhang, nämlich beim Falschparken: teilweise wird abgeschleppt, bloß weil Parkgebühren nicht bezahlt werden, auch mit dem Argument, "sonst würden andere nicht abgeschreckt".
Das ist keine kleine Ungenauigkeit der Verwaltung - hier wird die Systematik der Rechtsordnung missachtet und die Gewaltenteilung übergangen.

zum Fahrverbot: im Video ist doch ein solches Schild zu sehen, für WE und Feiertage?

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@ k0su:

Die Frage, wo die Grenze zwischen Gefahrenabwehr und Sanktion liegt, ist spannend. Aber dass die Abschlepp-Fälle mit jenen Sicherstellungen von Motorrädern vergleichbar seien, scheint nur auf den ersten Blick so: Beim Abschleppen eines Falschparkers lässt sich die Gefahr nur durch Abschleppen beseitigen. Sonst bleibt sie bestehen, bis der Fahrer aus freien Stücken sie irgendwann durch Wegfahren beendet. Das Abschleppen ist also mit Sicherheit Gefahrenabwehr, auch wenn der Fahrer es subjektiv als Zusatz-Sanktion erlebt. Bei jenen Motorradfahrern war die Gefahr hingegen unmittelbar mit dem Anhalten durch die Polizisten beendet. Es hätte höchstens vom Fahrer eine neue Gefahr verursacht werden können - Minuten oder Stunden später, vielleicht auch noch am selben Wochenende.

Im Übrigen gilt, dass Alles, was der Gesetzgeber im Gefahrenabwehrrecht zugelassen hat, Gefahrenabwehrrecht ist. Was er im Sanktionenrecht zugelassen hat, ist Sanktionenrecht. Wird mit der Knolle gegen einen Falschparker Gefahrenabwehr betrieben? Die Gefahr wird ja nicht beendet, aber Ziel ist es natürlich, dass dieser Fahrer das nicht wieder tut. Sonst müsste man es lassen oder gleich abschleppen. Umgekehrt wird das Abschleppen von manchen Sündern offenbar als Sanktion gesehen, obwohl nur dadurch die Gefahr beseitigt werden konnte. Für die Rechtmäßigkeit der einen oder anderen Maßnahme spielt die theoretisch spannende Frage kaum eine Rolle. Bei jeder rechtmäßigen Maßnahme aber steht fest, dass die Verwaltung die Entscheidung des Gesetzgebers beachtet hat und eben nichts usurpiert. Systematisch rechtswidrige Abschleppvorgänge gegen Falschparker sind aber noch nicht bekannt geworden.

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@Dr. Kettler:

Es stimmt, dass bei Falschparkern die Störung (nicht bloß Gefahr) nur durch Abschleppen beseitigt werden kann (sofern der Fahrer nicht anwesend und "wegfahrbereit" ist). Allerdings stellt sich, wie stets, die Frage der Verhältnismäßigkeit - und hier wird die theoretische Unterscheidung praktisch: denn verhältnismäßig kann nur sein, was einem der Rechtsgrundlage konnexen Ziel dient. Es findet sich (etwa beim VG oder OVG Hamburg) das Argumentationsmuster, die Maßnahme sei deswegen verhältnismäßig, weil sonst das Falschparken durch andere begünstigt oder nicht eingedämmt würde. Das aber verkennt, dass Abschreckung nicht Ziel des Gefahrenabwehrrechts ist. In einem solchen Fall wird also - gerichtlich gebilligt - eine ungesetzliche Sanktion angewandt - was der Gesetzgeber sich als Strafe für Falschparken vorstellt, hat er ins OWiG geschrieben.

Die Parkkralle ist natürlich zur Beseitigung der Störung völlig kontraproduktiv; sie wird meines Wissens in Deutschland auch nicht in diesem Zusammenhang eingesetzt - Folgendes habe ich auf den Seiten der Berliner Polizei gefunden: "Der Rechts- und Verfassungsausschuss des Deutschen Städtetages hat bereits im Jahre 1985 den Einsatz von Parkverriegelungen zur Überwachung des ruhenden Verkehrs als rechtswidrig bezeichnet."

Mfg

PS.: aus rechtsstaatlicher Sicht erscheint es mir indiskutabel, so etwas wie ein "vorläufiges Fahrverbot", wie es Herr Krumm richtig ausdrückt, zu verhängen. Wie so oft in angstschwangeren Sicherheitsdebatten sehe ich eine Geringschätzung des geltenden Rechts und eine (vielleicht intentionale) Unterdrückung seiner Leistungsfähigkeit: es gibt OWi-Tatbestände für illegale Rennen, und den 315c, u.U. auch 315b StGB, an die ein Fahrverbot anknüpfen kann.

PPS.: das Video vom Kesselberg ist im Vergleich zu solchen Aktionen eigentlich noch vorbildlich...

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