Bundesverfassungsgericht: Das berufsrechtliche Umgehungsverbot findet seine Grenze an den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem eigenen Mandanten

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 26.01.2009

Ein etwas kurioser Sachverhalt hat wieder einmal der Rechtsprechung Gelegenheit gegeben, die Tragweite gesetzlicher Bestimmungen abzugrenzen. So hatte das Bundesverfassungsgericht sich mit der Verfassungsmäßigkeit des an die Rechtsanwälte gerichteten Verbots der Umgehung des Gegenanwalts (§ 12 BORA) und der berufsrechtlichen Ahndung von Verstößen gegen dieses Verbot zu beschäftigen. In dem zu Grunde liegenden Ausgangsverfahren war in einer Wohnungseigentumssache der von der Antragsgegnerin mandatierte Rechtsanwalt vom Gericht - irrtümlich - weggeschickt worden, weil die Richterin den Rechtsanwalt nicht kannte und davon ausging, er wäre zu einem der Verfahren gekommen, deren Verhandlungstermine aufgehoben worden waren. Bei der dann gleichwohl durchgeführten mündlichen Verhandlung schloss der den Antragsteller vertretende Rechtsanwalt mit der - in diesem Termin auf Grund des Versehens des Gerichts - anwaltlich nicht vertretenen Antragsgegnerin auf Vorschlag des Gerichts einen Prozessvergleich ab. In der weiteren Folge erhielt dieser Rechtsanwalt von der für ihn zuständigen Rechtsanwaltskammer eine Rüge wegen eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA. Dieser wandte sich gegen die Rüge, bis hin zur Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht gab im Beschluss vom 25.11.2008 - 1 BvR 848/07 - der Verfassungsbeschwerde statt. Zwar begegne das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts beachte auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, allerdings lasse sich der Bundesrechtsanwaltsordnung keine Ermächtigung entnehmen, Berufspflichten zur Stärkung der Kollegialität unter Rechtsanwälten so auszugestalten, dass die primären Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis zum Mandanten zurückgedrängt oder abgeschwächt werden. Die strikte Einhaltung des Umgehungsverbots hätte von dem Beschwerdeführer verlangt, in der mündlichen Verhandlung vor Gericht keine Vergleichsverhandlungen mit der Antragsgegnerin zu führen und insbesondere keinen Prozessvergleich abzuschließen. Dies hätte jedoch offensichtlich dem Interesse des eigenen Mandanten an einer zügigen und sachgerechten Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozessvergleichs widersprochen. Zur Wahrung der rechtlichen Interessen seines Mandanten war der Beschwerdeführer vertraglich verpflichtet, für ein Zurückdrängen seiner Verpflichtungen aus dem Mandatsverhältnis kann § 12 Abs. 1 BORA keine Grundlage bieten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt daher der Praxis eine klare Handlungsanweisung, wie sich ein Rechtsanwalt im Konfliktfall zwischen dem berufsrechtlichen Umgehungsverbot und den Vertragspflichten gegenüber dem eigenen Mandanten zu verhalten hat.

 

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Greift eigentlich in einem solchen Fall gegenüber einem möglichen Amtshaftungsanspruch gegen das Land wegen eines ungünstig eingegangenen Vergleichs auch das Spruchrichterprivileg?

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