Musikindustrie und Urheberrecht: ein Ende der Ludenmentalität?

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 04.01.2009

Wall Street Journal hat´s berichtet, Heise staunt und die US-Musikindustrie hat´ s bestätigt: Zumindest in den USA geben die Funktionäre der Musikindustrie ihre Abmahn-Policy gegen P2P-Kids&Co. zum Jahreswechsel auf. Der Verband der großen US-Labels (Recording Industry Association of America, RIAA) wird demnach auf Massenklagen verzichten und stattdessen (nach französischem Olivennes-Modell) auf die Kooperation mit den Access Providern setzen. Zuvor war die Musikindustrie- wie auch in Deutschland - von der US-Justiz kritisiert worden. So hatte im Sommer der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo die RIAA gebeten, die unsinnige Prozesslawine zu beenden. "Wir wollten die Klagen stoppen", wird Cuomos Stabschef Steven Cohen zitiert. "Sie bringen nichts."

Mal sehen, wann auch der Bundesverband Musikindustrie und seine Schergen ein Einsehen haben. Diese haben mit ihrem über-aggressiven Auftreten viel Porzellan zerschlagen und nicht begreifen wollen, dass Bestrafung kaum jemand von der Nutzung eines P2P-Dienstes abhält. Die Kids - die eigentlich wichtigsten Kunden der Musikindustrie - werden die böswilligen Attacken dieses Verbands, der offensichtlich nur Schwarz-Weiß = Freund-Feind = böses Internet versus gute Musikindustrie kennt, nicht so schnell vergessen.

http://www.heise.de/newsticker/meldung/120728

http://www.heise.de/newsticker/meldung/120789

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9 Kommentare

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Um Abzuschrecken muss man erst einmal Bestrafungen erreichen. Aber in den USA ist das Ganze wohl eher ein Reinfall gewesen. Es ist immer noch nicht klar, ob schon das Bereithalten oder erst ein nachgewiesener Download eine Copyrightverletzung darstellt. Zudem ist der Musterprozess der Musikindustrie in den USA im Nachhinein geplatzt, weil der Richter die Geschworenen falsch aufgeklärt hat: Bei dem grade genannten Problem sagte er, dass schon das Bereithalten für eine Verurteilung ausreicht. Folge: Der eigentlich schon gewonnene Prozess mit Geldstrafen in rekordverdächtiger Höhe (200.000 US-$, wenn ich mich richtig erinnere) wird neu aufgerollt.
Wenn die Musikindustrie noch weitere PR-Desaster erlebt, wird sie irgendwann wirklich von allen gehasst. Das kann nicht in deren Sinn sein.

Abgesehen davon ist auch die Kooperation mit Providern ziemlich problematisch. Zumindest in Deutschland kann ich mir in dem Bereich kein effektives (legales) Modell vorstellen, welches die Musikindustrie zufrieden stellen würde. Das Modell der "abgestuften Antwort" (wie in Frankreich) ist verfassungsrechtlich höchst problematisch. Auch Modelle, in denen der Provider in irgendeiner Form den Datenverkehr screenen sind nicht ganz sauber. Und der Herausgabe von Daten - für weitere Schritte durch die Musikindustrie, in welcher Form auch immer - stehen grundsätzliche datenschutzrechtliche Bedenken gegenüber (Auch wenn es inzwischen den Auskunftsanspruch der Rechteinhaber gibt; Die Reichweite dieses Auskunftsanspruchs ist bisher schließlich noch ungeklärt).

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Der Heise-Newsticker meldet's am 19./20. Dezember, die Tage zwischen den Jahren gehen in's Land ... und, kaum dass die Weihnachtsgans verdaut ist und der Neujahrskater weggepennt ist, gibt der "Experte" seinen Senf dazu.

Schön, die Rechtsverletzer sind -- woher auch immer der "Experte" das weiß -- allesamt gut neudeutsch "Kids" ... Aber wer sind hier die Luden (= Zuhälter) und wer die Schergen (= Handlanger)?

Ist es "Ludenmentalität", Urheberrechtsverletzungen nicht einfach hinzunehmen, sondern sich der dafür in einem Rechtsstaat vorgesehenen Verfahren zu bedienen, um seine Rechte zu schützen?

Und wer sind die "Schergen"? Die Rechtsanwälte, die im Auftrag eines Rechteinhabers dessen Interessen wahrnehmen? Die Staatsanwälte, die bei Bekanntwerden einer Straftat (z.B. durch eine Strafanzeige) ein Strafverfahren einleiten und den Sachverhalt ermitteln?

Wenn man schon solche starken Worte in den Mund nimmt, sollte man auch Ross und Reiter nennen.

Übrigens: Für den Apostroph bitte die Taste links unten neben der Return-Taste drücken, nicht die Akzent-Taste.

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Lieber Herr Verwirrt,
bei uns zuhause gibt´s keine Weihnachtsgans, sondern schlesische Weißwürste und am 2. Weihnachtstag Pute. Auch hatte ich keinen Neujahrskater, da ich Silvester mit Erkältung im Bett lag.
Zu den "Luden" und "Schergen" siehe
http://www.blog.beck.de/2008/04/29/woruber-ich-mich-argere-offener-brief...

Ihnen ein frohes neues Jahr und alles Gute für 2009 Ihr TH

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Ich hätte mir auch gewünscht, dass genau die Aussagen, die von McDough kamen, hier thematisiert würden.
Es ist durchaus sehr zu begrüßen, dass die MI von den sinnfreien Massenabmahnungen Abstand nimmt, aber es stellt sich IMHO durchaus die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage - und mit welchen Widerspruchsmöglichkeiten - ein Provider einen geschlossenen Vertrag ohne Einhaltung der Vertragsfristen kündigt bzw. diesen einseitig ändert, indem nicht mehr die vollständige Bandbreite zur Verfügung gestellt wird.
Möglicherweise wird es dazu kommen, dass die üblichen Verdächtigen demnächst neue Verträge versenden und einige Provider, die dies unterlassen, sich sehr plötzlich über viele neue Kunden freuen dürfen.

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Lieber Herr Mario H, lieber Herr McDough,
Sie haben recht. Es wird noch eine spannende Diskussion darüber geben (müssen), ob die französischen Modelle in Richtung Olivennes in Deutschland überhaupt machbar sind. Gegen eine zentrale Datenbank der Internet-Sünder bestehen datenschutzrechtliche Bedenken, auf die schon das BMJ hingewiesen hat. Auch besteht kein Anspruch der Musikindustrie gegen die Access Provider auf Beteiligung an solchen Sperrmodellen. Es kann also nur auf freiwilliger Basis ein Agreement zwischen einzelnen Access Providern und der Musikindustrie geben, das das Verfahren legimitiert. Aber warum sollte sich ein Access Provider darauf einlassen: Where´s the beef? Wo ist der ökonomische Incentive? Und - wer soll denn dann letztendlich gesperrt werden? Der Anschlußinhaber? Der ist aber uU gar nicht der Rechtsverletzer (man denke an Familien oder Unternehmen mit DSL-Anschluß und Hausnetz).

Insofern kommt jetzt eine spannende Diskussion in Deutschland auf, die übrigens schon in Frankreich in vollem Umfang im Gange ist. Ihr TH

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Wie dpa heute berichtet, kommt noch mehr Bewegung in die Diskussion Bewegung bei Musik-Downloads im Internet: Nach Apples Online-Laden iTunes will nun auch Musicload einen Großteil seines Repertoires ohne Kopierschutz verkaufen. Die Tochterfirma der Deutschen Telekom kündigte am Mittwoch an, vom 1. April an mehr als 95 Prozent der Lieder ohne Beschränkungen anzubieten. Makaber-witzig dabei: "Der Bundesverband Musikindustrie begrüßte den Schritt der beiden Unternehmen."

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Der Bundesverband Musikindustrie begrüßt den Schritt der beiden Unternehmen deshalb, weil dies - zumindest im Falle von Apple - wohl auch ein Ergebnis der Verhandlungen mit der Industrie ist. Und langsam merken einfach auch die Letzten, also selbst die Plattenfirmen, dass die bisherigen Kopierschutzkonzepte verfehlt sind und nur die zahlenden Nutzer verärgern.

Was die Verfolgung von Nutzern angeht, ist man in Deutschland möglicherweise noch nicht so weit wie in den USA, wie ein aktuelles Interview belegt, das Dieter Gorny der Zeitschrift Spex gegeben hat.

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[...] Kostenersparnis und Risikominimierung: Gerichtliches Vorgehen und Strafanzeigen haben einen großen Nachteil. Sie führen über Richter und Staatsanwälte hinweg, die zunehmend der Meinung sind, dass wegen Tauschens eines Songs im Wert von 99 Cent ein User nicht kriminalisiert werden darf. [...]

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