Bundesregierung: "Staatlich gebotene Datenaufbewahrungspflicht" verhindert "faktisches Verfolgungsprivileg"

von Jan Spoenle, veröffentlicht am 04.01.2009

Die Bundesregierung hat in einer Stellungnahme Ihres Bevollmächtigten Prof. Dr. Christoph Möllers für das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gegen anhängige Verfassungsbeschwerden verteidigt; das über 110 Seiten lange Dokument ist seit kurzem als PDF-Download erhältlich.

So ist die Bundesregierung der Ansicht, das BVerfG sei im Großen und Ganzen überhaupt nicht zuständig: Bis auf eine Regelung bleibe das deutsche Umsetzungsgesetz im Rahmen der Richtlinie, welche vom BVerfG aufgrund der Solange-II-Rechtsprechung derzeit nicht justitiabel sei. In Bezug auf den einzigen Gegenstand des Umsetzungsgesetzes, der über die Richtlinie hinausgehe - laut Ansicht der Bundesregierung handelt es sich hierbei lediglich um die Nennung weiterer Zwecke der Datenspeicherung – fehle es den Beschwerden mangels unmittelbarer Betroffenheit an der Zulässigkeit.

Die Bundesregierung spricht dabei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Eingriffe, die sie der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung zuordnet, vielmehr von einer "staatlich gebotenen Datenaufbewahrungspflicht" – ein Argument, das sich vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des EGMR gegen Finnland durchaus hören lässt. Die vom Bundesverfassungsgericht einstweilen kassierte Einbeziehung der mittels Telekommunikation begangenen Straftaten sei wichtig, um ein "faktisches Verfolgungsprivileg" von über das Internet begangenen Straftaten zu vermeiden. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme: "Im Ergebnis würde der Verzicht auf die Verkehrsdatenabfrage in diesen Fällen zu einer letztlich willkürlichen Asymmetrie bei der Verfolgung von Straftaten führen und bestimmte kriminelle Aktivitäten durch ein 'faktisches Verfolgungsprivileg' begünstigen. Die Rechtsordnung würde einen Anreiz setzen, Straftaten auf diese Art und Weise zu begehen."

Auch wenn ich das Argument in der Sache durchaus nachvollziehen kann – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Internetkriminalität –, so widerspricht diese Stellungnahme doch der bisherigen Auffassung der Bundesregierung, bei der Zuordnung von IP-Adressen zu einem Anschluss zwecks Idenitätsfeststellung handele es sich um den Abruf von Bestandsdaten nach § 113 TKG. Insofern erscheint die Tatsache, dass nun von einer "Verkehrsdatenabfrage" die Rede ist, wo doch (wahrscheinlich) erstens eine Bestandsdatenabfrage gemeint war und zweitens der im Rahmen der Verfassungsbeschwerde angegriffene § 100g StPO n.F. nicht mehr vom Abfragen, sondern vom Erheben von Verkehrsdaten spricht (was naturgemäß etwas anderes ist als das lediglich passive Abfragen beim Provider), recht interessant ... Die Hauptsacheverhandlung in Karlsruhe verspricht demnach einige Spannung.

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5 Kommentare

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Das Bundesverfassungsgericht ist zustandig und die sache mit der Unzuständigkeit zieht nicht wenn nicht das Vervassungsgericht wer dann!!!

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“Im Ergebnis würde der Verzicht auf die Verkehrsdatenabfrage in diesen Fällen zu einer letztlich willkürlichen Asymmetrie bei der Verfolgung von Straftaten führen und bestimmte kriminelle Aktivitäten durch ein ‘faktisches Verfolgungsprivileg’ begünstigen. Die Rechtsordnung würde einen Anreiz setzen, Straftaten auf diese Art und Weise zu begehen.”

Das verträgt sich irgendwie nicht:

"In einer Studie des Bundeskriminalamts vom November 2005 wurden 381 Straftaten vor allem aus den Bereichen Internetbetrug, Austausch von Kinderpornografie und Diebstahl erfasst, die in den vergangenen Jahren aufgrund fehlender Telekommunikationsdaten nicht aufgeklärt werden konnten. Diesen 381 Fällen stehen jährlich 6,4 Millionen Straftaten gegenüber, von denen laut Kriminalstatistik Jahr für Jahr 2,8 Millionen unaufgeklärt bleiben." zitiert von http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/78/86/lang,de/

Der rechtsfreie Raum an dieser Stelle besteht schlicht nicht und es wird von der Bundesregierung lediglich Angst vor einem rechtsfreien Raum geschürt. Das hat IMO mehr als nur "ein Geschmäckle" das scheint mir FUD in Reinform zu sein.

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Lieber Herr Boecker,

Mit dieser Studie argumentiert der AK Vorratsdatenspeicherung seit seiner Gründung, aber der stetige Gebrauch eines Arguments macht es leider nicht besser oder richtiger. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Studie, die sich auf Straftaten aus den Jahren vor 2005 bezog. Zu diesem Zeitpunkt surften viele Internetnutzer in Deutschland noch mit Volumentarifen, und auch mangels entgegenstehender Rechtsauslegung speicherten die meisten Provider bis ins Jahr 2005 hinein fleißig IP-Daten. Mit anderen Worten: Damals waren in den allermeisten Fällen genau die Daten noch vorhanden, die jetzt - leider über einen sehr langen Zeitraum - gespeichert werden sollen.

Zum anderen gab es in den Jahren vor 2005 qualitativ eine andere Internetkriminalität als heute. Die Täter waren längst nicht so hochprofessionell organisiert, es gab viel weniger Probleme mit Phishing - das Thema tauchte erst im Jahr 2005 wirklich auf – und insgesamt ist die anhand diverser Indikatoren messbare Quantität an Internetkriminalität seitdem deutlich gestiegen, u.a. auch nur deshalb, weil inzwischen viel mehr Menschen das Internet nutzen als noch vor vier Jahren.

Verstehen Sie mich keineswegs falsch, ich befürworte die Vorratsdatenspeicherung nicht unbedingt und nicht in ihrer jetzigen Form – u.a. bin ich der Ansicht, dass die Richtlinie wegen Kompetenzüberschreitung schon gar nicht als Richtlinie hätte eingebracht werden dürfen, sondern höchstens im Rahmen der dritten Säule als Rahmenbeschluss –, doch muss man an dieser Stelle wirklich einhaken und darauf hinweisen, dass die Uralt-BKA-"Studie" nicht dafür geeignet ist, irgendetwas zu belegen außer der Tatsache, dass die früher üblichen 90 Tage nach Rechnungsversand offensichtlich ausreichend waren; und auch das wiederum nur angesichts der damals herrschenden Verhältnisse (modi operandi, Täter und -gruppierungen etc.). Inzwischen haben sich die Zeiten etwas geändert.

Im Übrigen muss man schon ehrlich bleiben und Äpfel mit Äpfeln vergleichen, sprich: Es ist argumentatitv an dieser Stelle wenig ergiebig, die damals wenigen nicht aufklärbaren Online-Straftaten und die große Zahl an damals insgesamt nicht aufklärbaren Straftaten gegenüberzustellen. Online-Straftaten lassen sich nicht mit Offline-Straftaten vergleichen, weil schon die Verfolgungsmöglichkeiten völlig anders gelagert sind. Nicht einmal der Finanzstrom ist heute noch derselbe ...

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Wenn wir die Gegenprobe machen, bedeutet das, dass die Verhinderung des faktisches Verfolgungsprivilegs dazu zwingt, Verkehrsdaten aller Bürger gänzlich anlassunabhängig zu speichern. Ein nettes Argument.;-)

Studien hin oder her, der Ansatz von Herrn Boecker geht in die richtige Richtung. Die Frage kann nämlich nur lauten, ob die Chance darauf, ein paar Straftaten (oder auch ein paar hundert) mehr aufzuklären es rechtfertigt, die Verkehrsdaten eigentlich aller Bürger dieses Landes auf Halde speichern.

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@spoenle

Dass das Internet Handlungsbereiche für Kriminelle eröffnet, ist unbestritten. Nur ist die ganz überwiegende Mehrzahl der Internetnutzer NICHT kriminell und verhält sich gesetzestreu. Dann aber ist fraglich, ob eine kleine Minderheit Krimineller es wirklich rechtfertigt, alle Nutzer über das Instrument der VDS zu überwachen und damit unter einen Pauschalverdacht zu stellen.

Der Grundsatz, der damit beeinträchtigt wird, ist, ein geradezu international gültiger: Eingriffe in Grundrechtspositionen seitens der Strafverfolgungsbehörden setzen eine "ex ante suspicion" - also einen vorherigen Verdacht einer Straftat - voraus.

Verdächtig kann aber nur ein bestimmtes Individuum sein - niemals eine Gruppe ("die Internetnutzer"), die man mit einigen schwarzen Schafen identifiziert, um sie dann insgesamt Überwachungsmaßnahmen zu unterwerfen. Dieser Individualismus ist ein Pfeiler europäischer Rechtsgeschichte, er ist "common sense".

Bevor man altgediente rechtsstaatliche Grundsätze aufgibt, wie das (insgesamt sehr dürftige) Möllers-Gutachten dies tut, sollte man über Alternativen nachdenken. Dies ist bislang nicht in ausreichendem Maße geschehen. Richtigerweise muss man mehr und Prävention setzen und hier polizeirechtliche Kompetenzen erweitern sowie die Anbieter viel mehr in die Pflicht, als dies heute geschieht.

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