Prozess gegen Hells Angels: Strafanzeige gegen Richter und Staatsanwalt wegen des Deals

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 22.12.2008

Ein Richter am Amtsgericht aus Rinteln hat beim Generalstaatsanwalt in Celle sowohl gegen die Berufsrichter im Hells-Angels-Prozess als auch gegen den Staatsanwalt Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt  erstattet. Bei der getroffenen Absprache, handle es sich um einen "rechtswidrigen, ja kriminellen Deal".

Wie schon im Blog angesprochen wurden elf der 14 Angeklagten zu Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. Wie die FAZ heute berichtet, soll das Urteil ohne Beweisaufnahme gefällt worden sein, nachdem der Kronzeuge und die Opfer angedeutet hatten, zu einer Aussage nicht bereit zu sein. Die Angeklagten gaben den Überfall zu, bei dem sechs der rivalisierenden Rocker teils lebensgefährlich verletzt wurden. Im Gegenzug ließ die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des schweren Raubs fallen. Nach dem Urteilsspruch seien, so die FAZ heute, die Hells Angels und der Vorsitzende Richter in heiterer Stimmung auseinandergegangen.  Der Anzeigeerstatter spricht von einem "beschämenden und würdelose Vorgehen", das für den "Niedergang der Strafjustiz" stehe.

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10 Kommentare

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Diese Strafanzeige könnte unangenehm werden.

Der Richter am Amtsgericht Rinteln war mit Sicherheit bei der Abrede nicht beteiligt und kennt auch die Verfahrensabrede nicht en detail. Ihm dürfte auch nicht bekannt sein, wie die Strafkammer beraten hat, bevor der Deal geschlossen wurde. Und schließlich kann ich mir nicht vorstellen, daß der Rintelner Richter Einblick in das Sitzungsprotokoll des Landgerichts gehabt hat, bevor er diese Anzeige formuliert hat. Er kennt das Ergebnis der Beweisaufnahmen jedenfalls nicht ausreichend, um solch einen massiven Vorwurf zu erheben.

Das könnte einen Schuß geben, der in's Knie geht ... in das des Richters aus Rinteln. Denn zumindest der VRiLG, den der RiAG angezeigt hat, wird auch den Gedanken an den Vorwurf einer Rechtsbeugung bekommen müssen. Und dann geht es ernsthaft an's Eingemachte.

Verfahrensabreden sind gewiß nicht das Gelbe vom Ei. Ohne sie kommt der moderne Strafprozeß aber nicht (mehr) aus. Die Versuche, den Deal in formelles Recht zu gießen, sind bislang gescheitert. Ich sehe auch keine Lösung, obwohl mir als Strafverteidiger oft die (mir noch verbliebenen) Haare zu Berge stehen, wenn ich an manches Verfahrensende denke (auch an manche, an denen ich beteiligt war). Aber so einen Vorwurf, wie der den Richters aus Rinteln gegenüber seinen eigenen Kollegen, halte ich für völlig unangemessen.

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Die näheren Umstände sind den meisten nicht bekannt. Da gilt es abzuwarten. Was mich persönlich stört, wenn ich den Artikel in der FAZ zugrunde lege, ist der Umstand, dass eine Absprache, die allein auf einem formalen Geständnis beruht und ohne gerichtliche Überprüfung hingenommen wird, aus meiner Sicht gegen die Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO als wesentlichem Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips verstößt. Eine solche Absprachenpraxis hilft die Vorbehalte gegen den "Deal" (siehe die oben erwähnten ähnlichen Beiträge) nicht abzubauen, sondern verstärkt sie - und leider passieren solche Fälle in der Praxis immer wieder.

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Nach Naumburg schreibt wirklich noch jemand eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung? Wie sinnlos ist das denn?
Aber wenn ein Kolegialgericht "aus tatsächlichen Gründen" nicht verurteilt werden kann, kann es ja auch keine falsche Verdächtigung geben.
Also viel Papier für die Rolle, hoffentlich hat der Richter wenigstens dreilagig geschrieben.

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Ich halte das für alles andere als glücklich, einen Kollegen wegen seiner Sachbearbeitung anzuzeigen. Wenn man das dann noch tut, ohne genau die Beurteilungsgrundlagen der Absprache zu kennen ist das noch eigenartiger. Da hat Herr Hoenig voll und ganz Recht.
Und: Werden an Amtsgerichten nicht manchmal auch Absprachen getroffen...?

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Verstöße gegen § 244 II StPO sind im Zusammenhang mit Verfahrensabreden, jedenfalls beim Amtsgericht, weniger bei den Strafkammern, gar nicht so selten. Es wird nicht aufgeklärt um des kurzen Prozesses Willen.

Aber wegen des regelmäßigen beiderseitigen Rechtsmittelverzichts sind diese Fehler eben nicht revisibel. Und vielleicht genau deswegen so weit verbreitet ... BGH hin, OLG her.

Das ist fürwahr keine gute Entwicklung. Auch für die Angeklagten nicht. Denn diejenigen, die sich einem Deal auf der Grundlage eines Geständnisses verschließen und ihre Rechte aus der StPO wahrnehmen, bekommen einen Malus. Der Deal wird so zum (ist mittlerweile der?) Normalfall.

Aber - um den Bogen zurück zu bekommen - ist ein Deal gleich eine Rechtsbeugung, eine Strafvereitelung? Mir geht das zu weit.

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Zur Frage Rechtsbeugung, Strafvereitelung hat Herr Hoenig bereits in seinem ersten und jetzt in seinem weiteren Beitrag alles gesagt.Ich möchte noch den Bogen vom hier diskutierten Deal zum falschen Geständnis spannen: Da haben wir im Blog zwei fundierte Beiträge von Herrn Prof. Dr. H. E. Müller sowie Herrn RiOLG Dr. Eschelbach (dieser mit zahlreichen Nachweisen).

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Ich halte dieses geringe Strafmaß, immerhin ging es um schwerste Körperverletzung, auch für skandalös. Zitat:

"bei dem sechs der rivalisierenden Rocker teils lebensgefährlich verletzt wurden."

Natürlich ist dies ein etwas ungewöhnlicher Fall, die Opfer sind keine Waisenknaben und verweigern die Aussage.

Trotzdem ist doch die Schwere der Verletzungen objektiv festgestellt worden !

Allerdings sehe ich die Zunahme der "Deals", gerade bei Wirtschaftsstrafsachen, mit großer Sorge.

Hier kommen doch die Angeklagten oft unverhältnismäßig gut weg.

Und weshalb:
a.) Weil sie z.B. ein hochkompliziertes Netz von Briefkastenfirmen und verschachtelten Firmenstrukturen aufgebaut haben, also eine hohe kriminelle Energie gezeigt haben. Was eigentlich als strafverschärfend bewertet werden müßte !

b.) Weil die Justiz in D hoffnungslos unterbesetzt, ja kaum noch handlungsfähig ist.

c.) Und spielt eventuell auch Angst vor den Tätern eine Rolle ?

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Und was ist nun als Verfahrensergebnis dabei herausgekommen und bei der beabsichtigten gemeinsamen Gegenanzeige der StA und des LG Verden? Nachdem alle Medien im Dezember so eifrig darüber berichtet hatten, verwundert es doch, nun überhaupt nichts mehr über den Ausgang zu erfahren.

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Auch ich habe nichts mehr vernommen; sei es die Ermittlungen noch laufen, sei es, dass die Angelegenheit stillschweigend abgeschlossen wurde. Vielleicht kann uns ein Blogger vor Ort weiterhelfen?

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Ein weiteres Urteil des Rintelner Richters, in welchem er grobes Fehlverhalten innerhalb der Strafjustiz anprangert und die Staatsanwaltschaft Bückeburg abwatscht: http://www.tomsack.com/urteil-ag-rinteln.pdf.

Natürlich ist die Staatsanwaltschaft im Fall Tom Sack in Berufung gegangen und hat zum Dank für das Rintelner Urteil noch eine völlig überzogene Hauptanklage wegen - ich fasse mal zusammen - "der Erfindung von Künstlern nebst wohlklingenden Biografien und dem Verkauf von selbstgemalten Bildern unter Verwendung der zu diesem Zweck erfundenen Künstleridentitäten" (=angeblich Betrug) vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg erhoben. Soweit ich weiß, ist die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die dubiose Hauptanklage jetzt schon ein paar Monate anhängig, offenbar ohne dass Verhandlungstermine anberaumt worden sind. Man darf gespannt sein...

Vielleicht weiß jemand mittlerweile, was aus der Strafanzeige des Richters gegen seine Kollegen geworden ist...?

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