Vorratsdatenspeicherung: Klageabweisung beim EuGH?

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 15.10.2008

Generalanwalt Yves Bot hat dem EuGH empfohlen, die seit geraumer Zeit anhängige Klage Irlands gegen die Vorratsdatenspeicherung abzuweisen. Die umstrittene EU-RiLi zu Vorratsdatenspeicherung regele den Binnenmarkt, nicht Polizeiarbeit (Art. 95 EU- Vertrag). Er argumentiert: die RiLi über die Vorratsdatenspeicherung beruhe auf den Regeln zur Funktion des Binnenmarktes und sei deshalb zu Recht nur mit qualifizierter Mehrheit im Rat beschlossen worden.  Irland meint, der RiLi fehle die Rechtsgrundlage.

Auch wenn die  Ausführungen des Generalanwalts nicht bindend für die Richter sind:  Stimmen Sie der Argumentation zu?   Quelle u.a.: http://www.tagesspiegel.de/politik/Datenschutz-Vorratsdatenspeicherung;art771,2636486

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Dieser Empfehlung kann der EuGH nicht folgen, wenn er sich nicht dem - berechtigten - Vorwurf aussetzen will, Politik zu betreiben, statt geltendes Recht anzuwenden. Denn Art. 95 EG verlangt einen klaren Bezug zum Binnenmarkt, genauer: eine Regelungsnotwendigkeit zur Herstellung des Binnenmarktes - irgendein Binnenmarktbezug genügt demgegenüber nicht.

Das die Rechtsgrundlage nicht in Art. 95 EG liegen kann, haben die Verfasser der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung offenbar erkannt.

Wie sonst sind die geradezu krampfhaft-peinlichen Versuche in den Erwägungsgründen zur RL zu erklären, einen Binnenmarktbezug darzustellen?

Zitat: "Die rechtlichen und technischen Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten beeinträchtigen den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation, da Diensteanbieter mit unterschiedlichen Anforderungen in Bezug auf die zu speichernden Arten von Verkehrs- und Standortdaten, die für die Vorratsspeicherung geltenden Bedingungen und die Dauer der Vorratsspeicherung konfrontiert sind."

Mit diesem Argumentationsmuster könnte man freilich gute Teile des materiellen Strafrechts oder auch des Strafprozessrechts als "genuien europäische Regelungsmaterie" sehen. Denn Unternehmen müssen sich an strafrechtliche Bestimmungen halten; Unterschiede etwa in der Reichweite der Sanktionen berühren also die wirtschaftliche Tätigkeit und müssten "vereinheitlicht" werden.

Auch die Grundrechte der Nationalstaaten müssten vereinheitlicht werden, denn welch' Last ist es manchmal für Unternehmen, im Wege der mittelbaren Drittwirkung Grundrechten ausgesetzt zu sein!

Kurzum: Nach dieser Begründung müsste nahezu das gesamte öffentliche Recht des Nationalstaaten entzogen und der Gemeinschaftskompetenz anheim gestellt werden!

Dass dieser Weg eklatant rechtswidrig ist, bedarf keiner weiteren Erklärung; ich möchte mich nicht mal für etwaige "Überspitzungen / Simplifizierungen" entschuldigen, denn was uns der Generalanwalt hier zumutet, ist so arg daneben, dass eine juristische (!) Auseinandersetzung sich fast nicht lohnt.

Davon abgesehen widerlegt sich die Richtlinie in ihrem angeblichen Ziel, die Unternehmen vor unterschiedlichen Belastungen durch Speicherpflichten zu schützen, selbst.

Beispiel:
"Artikel 6

Speicherungsfristen

Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Artikel 5 angegebenen Datenkategorien für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Kommunikation auf Vorrat gespeichert werden."

Geht man davon aus, dass SpeicherDAUER einen eigenständigen Kostenpunkt darstellt (und davon hat man auszugehen), so ist es also möglich, dass Unternehmen in Staat X (Speicherdauer: 24 Monate) 4 mal (sic!) so hohen Kosten ausgesetzt sind, wie Unternehmen in Staat Y (Speicherdauer: 6 Monate).

Spielräume wie diese verdeutlichen, dass es gerade NICHT um die Herstellung einheitlicher Verhältnisse für die Unternehmen ging.

Und auf noch einen eklatanten Widerspruch in der RL muss man hinweisen:

Als Anlass / Hintergrund der RL wird in den Erwägungsgründen genannt: "Einige Mitgliedstaaten haben Rechtsvorschriften über eine Vorratsspeicherung von Daten durch Diensteanbieter zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten erlassen. Diese nationalen Vorschriften weichen stark voneinander ab." --> Das will man - so der Tenor - mit der RL ändern.
Und zwar auf dem Weg, dass man das, was EINIGE zur Strafverfolgung implementiert haben, nun für ALLE verbindlich vorschreibt. Nach diesem Argumentationsmuster könnte also EIN EINZELNER MITGLIEDSSTAAT faktisch eine Regel FÜR ALLE setzen, da durch seine Initiative "ungleiche Verhältnisse" entstehen... Da man aber den Staaten, die die Regel schon haben, diese nicht verbieten kann (weil keine Kompetenz besteht!!!), macht man sie für alle zwingend (--> "kleiner" Haken: Wofür RECHTSLOGISCH auch keine Kompetenz besteht; denn war man nicht durch eine Abschaffung regeln kann, kann man auch nicht für alle verbindlich vorschreiben).
Diese Logik ist aber bisher verkannt worden. Der Lackmus-Test ist einfach: Der EuGH muss sich fragen, ob die EG über Art. 95 einzelnen Mitgliedstaaten die Vorratsdatenspeicherung zu Strafverfolgungszwecken aus Gründen der Binnenmarkt-Rechtsangleichung hätte verbieten können. Die Antwort ist klar: Nein.
Damit ist die Sache - für mich - eindeutig.

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