Klarstellung durchs BVerwG: Tattagsprinzip bei Punkteberechnung in Flensburg

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.09.2008Beckaktuell meldet es heute: Ein langer Streit ("Rechtskraftprinzip" oder "Tattagsprinzip") hat ein Ende! Jeder Verkehrsteilnehmer mit zu vielen Punkten kann sich hierüber freuen, da es letztlich nicht mehr darauf ankommt, in welchem Gerichtsbezirk er seinen Wohnsitz hat, sondern sich das frühzeitige und zügige Absolvieren von "Punkteabbauseminaren" in jedem Falle lohnt. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich am 25.09.2008 entschieden, dass die Möglichkeit eines Führerscheininhabers, seinen Punktestand im Verkehrszentralregister durch die Teilnahme an einem Aufbauseminar zu verringern, davon abhängt, wie viele Verkehrsverstöße er zum Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung begangen hat. Es sei nicht erforderlich, dass die Verkehrsverstöße auch schon zu diesem Zeitpunkt rechtskräftig geahndet waren, so das Gericht in einer Mitteilung. Nach dem Erreichen von mindestens 18 Punkten könne eine Tilgung von Punkten nicht mehr berücksichtigt werden, die Fahrerlaubnis sei dann wegen fehlender Eignung zu entziehen (Urteile vom 25.09.2008; Az.: 3 C 3.07; 3 C 21.07 und 3 C 34.07).

Zwar setzten die nach § 4 Abs. 3 StVG von den Fahrerlaubnisbehörden beim Erreichen der dort genannten Punktzahlen zu treffenden Maßnahmen, die von der Erteilung einer Verwarnung bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis reichen, rechtskräftig geahndete Verkehrsverstöße voraus. Doch müsse, soweit ein möglicher Abzug wegen der Teilnahme an einem Aufbauseminar in Rede stehe, die Rechtskraft nicht bereits bei Ausstellung der Teilnahmebescheinigung eingetreten sein. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung seien vielmehr die Verkehrsverstöße zu berücksichtigen, die zu diesem Zeitpunkt begangen waren, sogenanntes Tattagprinzip, auch wenn sie erst später rechtskräftig geahndet worden seien.

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8 Kommentare

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In Anlehnung an § 2a StVG und die Intension des Gesetzgebers bei der Implementierung der Interventionsmassnahmen die einzig richtige Sichtweise.
Schade daß es mit der entgültigen Urteilsverkündung so lange dauert

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Die Entscheidung ( Gründe liegen immer noch nicht vor) ist eine Katastrophe. Verkehrsteilnehmern wird damit die Möglichkeit genommen, Rettungsmassnahmen auf den Weg zu bringen.
Wer z.B. 8 Punkte in Flensburg auf dem Konto hatte und erneut geblitzt wurde, konnte durch Einspruch und gleichzeitiges Absolvieren eines Aufbaukurses eine Gutschrift von vier Punkten erreichen, nach der Entscheidung des BVerwG nur noch von 2 Punkten.
Das Gleiche gilt für für die Situation, dass der Verkehrsteilnehmer 17 Punkte angesammelt hat, die er z.BV. durch eine verkehrspsychologische reduzieren könnte. In diesem Fall ist die Fahrerlaubnis unrettbar verloren.
Fazit: Das Urteil wird zu deutlich mehr Entziehungen führen.

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt

Ich möchte zuerst einmal vorausschicken, dass ich Verständnid für Ihre Sicht als Anwalt habe, wenn auch ich Sie nicht teilen kann.

Um dies zu verdeutlichen möchte ich sowohl formal als auch inhaltlich etwas konkreter auf Ihre Ausführungen eingehen:

>>>Verkehrsteilnehmern wird damit die Möglichkeit genommen, Rettungsmassnahmen auf den Weg zu bringen. <<>> Wer z.B. 8 Punkte in Flensburg auf dem Konto hatte und erneut geblitzt wurde, konnte durch Einspruch und gleichzeitiges Absolvieren eines Aufbaukurses eine Gutschrift von vier Punkten erreichen, nach der Entscheidung des BVerwG nur noch von 2 Punkten. <<>> Das Gleiche gilt für für die Situation, dass der Verkehrsteilnehmer 17 Punkte angesammelt hat, die er z.BV. durch eine verkehrspsychologische reduzieren könnte. In diesem Fall ist die Fahrerlaubnis unrettbar verloren. << hier trifft Ihre Aussage sicherlich zu wenn Sie die verkehrspsychologische Beratung als Rettungsmassnahme bezeichnen. Diese Massnahme hat der Gesetzgeber jedoch als freiwillige Massnahme gesehen. DIe Praxis zeigt, dass im Regelfall diese erst genutzt wird wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und die Entziehung der Fahrerlaubnis ansteht.

>>> Fazit: Das Urteil wird zu deutlich mehr Entziehungen führen. <<<

Hier muss ich Ihnen klar wiedersprechen.
Zum einen wurde das Tattagsprinzip nur in 50 % der Verwaltungen umgesetzt. alle anderen haben bisher nach dem Rechtskraftprinzip gearbeitet.
Weiterhin gehe ich davon aus (bzw. habe ich die Hoffnung, dass sich nun Fahrerlaubnisinhaber mehr darüber nachdenken, wenn dieser Rettungsanker nicht mehr gegeben ist.
Und dann wären da ja auch noch die Regelungen des § 4 Abs.5 StVG. Hierzu hat sich das BVerwG zwar nicht geäußert, aber es bleibt im Sinne der Fahrerlaubnisinhaber zu wünschen, dass die Verwaltungen auch hier auf das Tattagsprinzip abheben. Damit fallen Entziehungen weg, die bisher an der Tagesordnung waren.
Nehmen Sie einmal die Konstellation, dass jemand bei 17 Punkten das Aufbauseminar gemacht hat. Vor dem Seminar fährt er zu schnell und es stehen weitere 2 Punkte an. Nun wird die Sache erst nach dem Seminarbesuch rechtskräftig. Bei der Anwendung des Rechtskraftprinzips würde der Betroffene seine Fahrerlaubnis mit 19 Punkten verlieren, obwohl die Massnahme nicht hat greifen können und er nach dem Seminar nichts Neues anstellt hat. Diese Regelauslegung fand ich eine Katasthrophe.

Das war jetzt vielleicht etwas ungewöhnlich ausführlich. Aber ich hoffe, ich konnte Sie ein bischen überzeugen

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt

Ich möchte zuerst einmal vorausschicken, dass ich Verständnis für Ihre Sicht als Anwalt habe, wenn auch ich Sie nicht teilen kann.

Um dies zu verdeutlichen möchte ich sowohl formal als auch inhaltlich etwas konkreter auf Ihre Ausführungen eingehen:

Zitat: Verkehrsteilnehmern wird damit die Möglichkeit genommen, Rettungsmassnahmen auf den Weg zu bringen.-

Wenn wir uns die Regelungen des § 4 Abs.4 StVG ansehen besteht weiterhin die Möglichkeit "Rettungsmassnahmen" auf den Weg zu bringen. Wobei ich mich schon ein bischen über Ihre Begrifflichkeit der "Rettungsmassnahme" schwertue.
Die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar ist eine Präventivmassnahme, die nicht erst ergriffen werden sollte, wenn es fast schon zu spät ist (sprich kurz vor Erreichen von 14 Punkten, nur um sich zu retten.

Zitat: Wer z.B. 8 Punkte in Flensburg auf dem Konto hatte und erneut geblitzt wurde, konnte durch Einspruch und gleichzeitiges Absolvieren eines Aufbaukurses eine Gutschrift von vier Punkten erreichen, nach der Entscheidung des BVerwG nur noch von 2 Punkten.

Ich denke hier hat uns der Gesetzgeber doch schon vor Jahren durch die Änderung des Justizmodernissierungsgesetzes und die EInführung der Tattagshemmung ein deutliches Zeichen gegeben, dass diese Vorgehensweise nicht gewünscht ist. Es wird ein Rechtsmittel nicht für den eigentlichen Zweck genutzt sondern zur Erzielen eines Vorteils, den man sonst nicht bekommen würde. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, es ist aus Ihrer Sicht zum Vorteil Ihres Mandanten absolut legitim und auch zulässig, nur von der Sache her sicherlich nicht das was der Gesetzgeber eingentlich mit dem Instrument des Einspruchs gewollt hat.
Wenn auch ich davon ausgehe, dass Sie wissen daß durch die Einführung der Tattagshemmung dieser Weg unter bestimmen Umständen immer noch zum gewünschten Ziel führen kann, sofern man richtig rechnet ;-)

Zitat: Das Gleiche gilt für für die Situation, dass der Verkehrsteilnehmer 17 Punkte angesammelt hat, die er z.BV. durch eine verkehrspsychologische reduzieren könnte. In diesem Fall ist die Fahrerlaubnis unrettbar verloren.

Naja - ich möchte es einmal so sagen -> hier trifft Ihre Aussage sicherlich zu wenn Sie die verkehrspsychologische Beratung als Rettungsmassnahme bezeichnen. Diese Massnahme hat der Gesetzgeber jedoch als freiwillige Massnahme gesehen. DIe Praxis zeigt, dass im Regelfall diese erst genutzt wird wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und die Entziehung der Fahrerlaubnis ansteht.

Fazit: Das Urteil wird zu deutlich mehr Entziehungen führen.

Hier muss ich Ihnen klar wiedersprechen.
Zum einen wurde das Tattagsprinzip nur in 50 % der Verwaltungen umgesetzt. alle anderen haben bisher nach dem Rechtskraftprinzip gearbeitet.
Weiterhin gehe ich davon aus (bzw. habe ich die Hoffnung, dass sich nun Fahrerlaubnisinhaber mehr darüber nachdenken, wenn dieser Rettungsanker nicht mehr gegeben ist.
Und dann wären da ja auch noch die Regelungen des § 4 Abs.5 StVG. Hierzu hat sich das BVerwG zwar nicht geäußert, aber es bleibt im Sinne der Fahrerlaubnisinhaber zu wünschen, dass die Verwaltungen auch hier auf das Tattagsprinzip abheben. Damit fallen Entziehungen weg, die bisher an der Tagesordnung waren.
Nehmen Sie einmal die Konstellation, dass jemand bei 17 Punkten das Aufbauseminar gemacht hat. Vor dem Seminar fährt er zu schnell und es stehen weitere 2 Punkte an. Nun wird die Sache erst nach dem Seminarbesuch rechtskräftig. Bei der Anwendung des Rechtskraftprinzips würde der Betroffene seine Fahrerlaubnis mit 19 Punkten verlieren, obwohl die Massnahme nicht hat greifen können und er nach dem Seminar nichts Neues anstellt hat. Diese Regelauslegung fand ich eine Katasthrophe.

Das war jetzt vielleicht etwas ungewöhnlich ausführlich. Aber ich hoffe, ich konnte Sie ein bischen überzeugen

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Da zeigt sich, dass die Materie doch ziemlich schwierig und widersprüchlich geregelt ist.
Bevor hier die gesamte Diskussion Tattag gegen Rechtskraft wiederholt wird nur folgende Anmerkungen:
1. Das letzte Beispiel belegt genau die Folgen der Entscheidung, die da sind: jetzt geht die Fahrerlaubnis verloren, zuvor - so OVG für NRW - blieb sie erhalten.
Es ist genau anders herum, als oben vermutet wird.
2. In NRW und Niedersachsen galt das Tattagsprinzip, also wohl nicht gerade für wenige Fälle und in NRW gab es auch eine Verwaltungsanweisung in diesem Sinne.
3.Über den Sinn des Einspruchs lässt sich philosophieren, war aber nur ein Beispiel. Der schnelle Kursteilnehmer konnte zwischen Anhörungsbogen und Bußgeldbescheid günstige Fakten schaffen, geht jetzt nicht mehr.
4. Mit § 4 StVG lässt sich alles und nichts belegen. Absatz 6 - Information der Fahrerlaubnisbehörde nach Rechtskraft - spricht gegen Tatagsprinzip.
5. Ein Aufbauseminar oder eine verkehrspsych. Beratung werden doch nur aufgrund des Punktedrucks gemacht, ihre positive Wirkung hängt damit aber nicht unmittelbar zusammen. Die Entscheidung wird eindeutig zu weniger Massnahmen und mehr Entziehungen führen,

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Zitat: Da zeigt sich, dass die Materie doch ziemlich schwierig und widersprüchlich geregelt ist.

Wenn Sie sich auf die Gesamtregelungen des § 4 StVG beziehen, bin ich der erste der Ihnen diese Einschätzung unterschreibt.

Zitat: 1. Das letzte Beispiel belegt genau die Folgen der Entscheidung, die da sind: jetzt geht die Fahrerlaubnis verloren, zuvor - so OVG für NRW - blieb sie erhalten.
Es ist genau anders herum, als oben vermutet wird.

Wir müssen diese Entscheidung doch erst einmal bundesweit betrachten und nicht länderspezifisch.

Zitat 2. In NRW und Niedersachsen galt das Tattagsprinzip, also wohl nicht gerade für wenige Fälle und in NRW gab es auch eine Verwaltungsanweisung in diesem Sinne.

Ich darf auf die Entscheidung des OVG Münster vom 09.07.2007 verweisen, in dem sich das Gericht eindeutig vom Grundsatz her für das Rechtskraftprinzip ausgesprochen. Auch das OVG Lüneburg hat sich bei der Beurteilung der Regelungen des § 4 Abs.4 StVG auf das Rechtskraftprinzip berufen ( 24.01.2007) Außerdem sollten wir in der Diskussion aufpassen, dass wir die Regelungen des § 4 Abs.4 und Abs.5 nicht in einen Topf schmeißen.

Zitat 3.Über den Sinn des Einspruchs lässt sich philosophieren, war aber nur ein Beispiel. Der schnelle Kursteilnehmer konnte zwischen Anhörungsbogen und Bußgeldbescheid günstige Fakten schaffen, geht jetzt nicht mehr.

So interessant eine derartige philosophische Betrachtung auf wäre. Sie haben Recht – sparen wir uns das hier

Zitat 4. Mit § 4 StVG lässt sich alles und nichts belegen. Absatz 6 - Information der Fahrerlaubnisbehörde nach Rechtskraft - spricht gegen Tatagsprinzip.

Ein klares Nein. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Tätigwerden der Verwaltungsbehörde und der Wirkung des eigentlichen Vergehens. Hier ist meiner Meinung nach eher eine Analogie zur Tattagsregelung der Hemmung nach § 29 StVG herzustellen.

Zitat 5. Ein Aufbauseminar oder eine verkehrspsych. Beratung werden doch nur aufgrund des Punktedrucks gemacht, ihre positive Wirkung hängt damit aber nicht unmittelbar zusammen.

Jeder Fahrerlaubnisinhaber ist rechtzeitig in der Lage die Möglichkeit des Besuches eines frw. Aufbauseminars zu nutzen zu einem Zeitpunkt, in dem noch kein Punktedruck besteht. Das wird sich auch nicht durch die Entscheidung für das
Tattagprinzips ändern.
Anders sieht es jetzt – und da gebe ich Ihnen recht – mit der verkehrspsychologischen Beratung aus. Nachdem man ja schon im Probebereich
Festgestellt hat, dass diese Möglichkeit nur minimal genutzt wird, bleibt zu erwarten, dass nur wenige Betroffene die Möglichkeit im Punktebereich rechtzeitig nutzen werden. Außer es würde bei den Anwälten und Betroffenen ein Umdenken stattfinden, diese schon frühzeitig zu nutzen und nicht erst dann wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist 

Zitat 6. Die Entscheidung wird eindeutig zu weniger Maßnahmen und mehr Entziehungen führen.

Bundesweit gesehen kann ich diese Einschätzung generell nicht stützen. In der Gesamtschau wird es in Bereich der Entziehungen keinen großen Unterschied geben.
Und inwieweit es weniger Teilnahmen an der verkehrspsychologischen Beratung geben wird liegt ausschließlich an der Tatsache, ob diese eine andere Bedeutung bekommen wird oder nicht. Das werden die Statistiken zeigen.

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