Keine Hoffnung für betrunkene Fahrzeugführer: BVerfG sieht keinen Verfassungsverstoß bei Blutprobenentnahme nach Anordnung der Polizei

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.09.2008

Das BVerfG hat sich mit Beschluss vom 28.07.2008 - 2 BvR 784/08 erneut mit dem Thema "Anordnung einer Blutprobenentnahme durch Polizei" befasst. Es hat keinen Verfassungsverstoß in einer Verwertung durch das Gericht gesehen - es hat die Vrfassungsbeschwerde somit schon nicht zur Entscheidung angenommen.

Zur Erinnerung: Es geht um Blutprobenentnahmen, die durch Polizei und Staatsanwaltschaft angeordnet werden, bei denen aber i.d.R. keine Gefahr in Verzug gegeben ist, so dass gem. § 81a StPO der Richter hätte anordnen müssen. Bislang alle veröffentlichten OLG-Entscheidungen haben ein Beweisverwertungsverbot bejaht. Nur einzelne untergeordnete Gerichte hatten sich dem widersetzt. Spätestens nach der BVerfG-Entscheidung dürfte das Thema zunächst ausgestanden sein.

Aus der Entscheidung (gekürzt):

Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Insofern gehen die Strafgerichte in gefestigter, willkürfreier und vom Beschwerdeführer auch als solcher nicht angegriffener Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers können danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen. Amtsgericht und Oberlandesgericht haben das Verhalten der Ermittlungsbehörden an diesem Maßstab überprüft und sind somit ihrer Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 4 GG nachgekommen.... Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist Entsprechend ist es in Fällen fehlender Evidenz dem zur Überprüfung berufenen Gericht verwehrt, die fehlende Dokumentation durch Verwendung einer ihm erst nachträglich zugänglich gemachten Stellungnahme der Ermittlungsbehörden gleichsam zu ersetzen; dies würde nämlich eine Nachbesserung der von ihm gerade zu kontrollierenden hoheitlichen Akte darstellen, welche die präventive Funktion des Richtervorbehalts leer laufen ließe. Diese Einschränkung der Prüfungskompetenz hat das Bundesverfassungsgericht bislang allerdings nur für die unmittelbare Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns der Ermittlungsbehörden gefordert, die etwa auf nachträglichen Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, gegebenenfalls auch im Beschwerderechtszug, erfolgt. Sie lässt sich nicht auf die durch das erkennende Gericht vorzunehmende Prüfung der Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbotes übertragen. Wenn die strafgerichtliche Rechtsprechung davon ausgeht, dass fehlende Dokumentation allein nicht zu einem Verwertungsverbot führt, ist das deswegen nicht zu beanstanden, zumal diese Rechtsprechung die Möglichkeit offen lässt, den Dokumentationsmangel entsprechend seinem Gewicht im Einzelfall als Gesichtspunkt in der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen. Auch im vorliegenden Fall war die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes daher unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgarantie nicht geboten.

Ob der in der Blutentnahme liegende Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers als solcher Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ist vorliegend nicht zu prüfen, da Gegenstand der Verfassungsbeschwerde nicht die Anordnung der Blutentnahme, sondern die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ist.

 

Zu der Problematik in beckonline:

Burmann/Heß, NJW-Spezial, 2008, 297

Krumm, SVR 2008, 297

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

5 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Liebe Beck-Blogger,

ich kann ja verstehen, dass C.H. Beck gerne einen spürbaren Werbe-Effekt aus den Blog-Aktivitäten ziehen möchte, aber könntet Ihr nicht dennoch einmal die Praxis überdenken, Gerichtsentscheidungen nahezu ausschließlich in Beck-onnline zu verlinken?

Für die oben angesprochene, wirklich lesenswerte, Entscheidung des BVerfG hole ich das hiermit selbst nach: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20080728_2bvr078408.html.

0

Sehr geehrter Herr v. Heintschel-Heinegg,

haben die OLGe nicht ein Beweisverwertungsverbot verneint, und einzelne AG dieses bejaht (unlängst etwa Essen)?

Mfg,

-br

0

ja, da haben Sie vollkommen Recht. Die Argumentationen der OLG sind ein wenig unterschiedlich. Keines hat aber bislang den Mut gehabt, ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. Interessant an der BVerfG-Entscheidung ist m.E., dass das BVerfG ganz offen den schwarzen Peter den Strafgerichten zuschiebt. Ich habe auch so das Gefühl, dass das BVerfG andeuet: Wenn es noch lange mit der willkürlichen Aushebelung des Richtervorbehaltes weitergeht, dann wird wohl ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sein. Wie lesen Sie denn die Entscheidung?

0

Das BVerfG hat auch schon in anderen Urteilen (z.B. Onlinedurchsuchung) auf die immer weiter schwindende Rolle des Richtervorbehalts in der Praxis hingewiesen und ist dennoch nicht tätig geworden. Ich fürchte, hier ist der Wunsch Vater des Gedankens. Es ist mir persönlich schon unverständlich, warum eine fehlende Dokumentation nichtmals die - immerhin widerlegliche - Vermutung einer rechtswidrigen Maßnahme begründen können soll. Schon bei reinen Privatrechtsbeziehungen, z.B. im Arzthaftungsrecht, wird eine Vermutung zu Ungunsten des fehlerhaft Dokumentierenden kostatiert.
Nun ist aber der Staat und mit ihm seine Einrichtungen bedeutend stärker an den Grundrechtsschutz gebunden, als dies bei einem Privaten der Fall ist. Ein sachliches Argument, warum dies nicht zu zumindest einer gleichen Beweisschwelle führen soll, ist mir bislang nicht untergekommen.
Selbst wenn man die Abwägungsleehre zu Beweisverwertungsverboten für richtig erachtet ist die Nachprüfbarkeit und Feststellung der Rechtswidrigkeit vollumfänglich auf jede einzelne hoheitliche Handlung zu erstrecken.
Dem Urteil des LG Hamburg in der NJW-Spezial kann im Übrigen schon deshalb nicht gefolgt werden, weil das Gericht aufgrund praktischer Umsetzungsprobleme eine grundrechtsschützende Norm schlichtweg für irrelevant hält. Mit einer solchen Annahme geht es aber weit über die ihm zustehende, rechtssprechende Kompetenz hinaus und ersetzt die Werteentscheidung des Gesetzgebers durch die eigene.

0

zu #3: Einen zeitlichen Aspekt sehe ich im Urteil keineswegs. Es wäre widersinnig, wenn das BVerG andeuten wollte, dass es bei Fortgang der Praxis nichtrichterlicher Anordnung bald Willkür und Beweisverwertungsverbote annehmen würde: also zwar heute nicht, aber vielleicht morgen.

Das BVerG untersucht den Einzelfall. Stellt es einen Verstoß gegen das Willkürverbot fest, so ist der Fall entschieden und ein Beweisverwertungsverbot (in aller Regel) anzunehmen. Das BVerG urteilt fallweise und kann nicht einen Verstoß gegen Grundgesetze hinnehmen mit der begründeten Hoffnung und einhergehender Mahnung, dass diese Praxis bald geändert würde.

Es untersucht also den Einzelfall, die Sach- und Beweislage, und hier insbesondere, ob der Beamte GiV annehmen konnte. Es muss sich die Sichtweise des Beamten im jeweiligen Einzelfall zu eigen machen und sich fragen, ob er so handeln konnte, wie er es tat, ohne das Willkürverbot zu verletzen.

Wenn er nach der Sachlage Blutentnahme anordnete, obwohl bei objektiver Betrachtung kein ersichtlicher Grund, keine Rechtfertigung vorlag, den Richtervorbehalt ausnahmsweise zu umgehen, dann liegt Willkür nahe. Wenn er allerdings fälschlicherweise annahm, er habe das Recht, da ansonsten Beweismittel verloren gingen (etwa wenn bei Drogen/ Alkohol der Schwellenwert zu unterschritten werden droht), dann liegt Willkür wohl eher fern.

Dass fehlende Dokumentation keine Willkür belegen kann, ist insofern logisch, als dem Beamten zunächst willkürfreies Handeln unterstellt werden muss. Es wäre doch ersichtlich sehr fragwürdig, wenn das BVerG den Umstand, dass der Beamte nichts zur GiV etc. dokumentiert hat, heranzöge, um ihm Willkür vorzuwerfen. Das hieße, den Polizeibeamten im Zweifel Willkür vorzuwerfen, was meines Erachtens schon wegen der besonderen Person des Polizeibeamten und des harten Vorwurfs nicht angehen wird. Er handelt im Auftrag des Staates, Verbrechen zu bekämpfen, zu ermitteln usw. Die Beurteilungslatte, jenseits derer Willkür anzunehmen ist, muss dementsprechend hoch sein.

Ein Beweismittelerhebungsverbot führt nicht zwingend zum Beweismittelverwertungsverbot. Es muss auf dem Wege der Abwägung entschieden werden, wieweit unrechtmäßig erworbene Beweismittel ein Hindernis darstellen. Denn der tatsächliche unrechtmäßige Eingriff kann gegenüber dem verfolgten Interesse dermaßen an Bedeutung unterliegen, dass ein Verwertungsverbot ausfällt. Wer möchte einen Mörder wegen Spitzfindigkeiten seines Anwalts und Unachtsamkeit eines Beamten freigesprochen sehen? Es würde Sinn und Zweck unseres Rechtssystems nicht gerecht. Nur darf kein bleibender, nachhaltiger Makel am Strafverfahren im Ganzen entstehen. Dies zu beurteilen, ist eine Abwägung aller Umstände und widerstreitenden Interessen nötig.

Nur eine Meinung,

Gruß Brunner

 

0

Kommentar hinzufügen