BVerfG: Meinungsfreiheit auch bei fremdenfeindlichem Liedgut beachten!

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 29.05.2008

Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 25.3.2008 (Az.: 1 BvR 1753/03) klargestellt, dass eine Verurteilung wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB aufgrund der Verbreitung fremdenfeindlicher Liedtexte dann nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, wenn sich das Tatgericht nicht dezidiert mit der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG befasst und im Bezug hierauf keine Abwägung mit anderen betroffenen Rechtsgütern vornimmt. Bei der Überprüfung zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Sanktionen geht das BVerfG von dem Grundsatz aus, dass die Meinungsfreiheit verletzt wird, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher andere mögliche Deutungen, die nicht völlig fern liegen, mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben. Mit Art. 5 Abs. 1 GG wäre es nicht vereinbar, wenn Meinungsäußerungen mit dem Risiko verbunden wären, wegen einer nachfolgenden Deutung einer Äußerung durch die Strafgerichte verurteilt zu werden, die dem objektiven Sinn dieser Äußerung nicht entspricht. Denn der Äußernde dürfe in der Freiheit seiner Meinungsäußerung nicht aufgrund von Meinungen eingeengt werden, die er zwar hegen oder bei anderer Gelegenheit geäußert haben mag, aber im konkreten Fall nicht kundgegeben hat. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen schließen nach Ansicht des BverfG zwar nicht aus, dass die Verurteilung auf ein Auseinanderfallen von sprachlicher Fassung und objektivem Sinn gestützt wird, wie dies insbesondere bei verdeckt enthaltenen Aussagen in Liedtexten zutrifft. Eine solche Interpretation müsse aber unvermeidlich über die reine Wortinterpretation hinausgehen und bedarf daher der Heranziehung weiterer, dem Text nicht unmittelbar zu entnehmender Gesichtspunkte und Maßstäbe. Diese müssten mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar sein. Auf eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen verdeckt enthaltene zusätzliche Aussage dürften die Verurteilung zu einer Sanktion oder vergleichbar einschüchternd wirkende Rechtsfolgen daher nur gestützt werden, wenn sich die verdeckte Aussage dem angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt. Hierfür müssten die Gerichte die Umstände benennen, aus denen sich ein solches am Wortlaut der Äußerung nicht erkennbares abweichendes Verständnis ergibt. Fehlt es daran, so liege ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Der vom BVerfG entschiedene Fall bezog sich indes auf die besondere Konstellation des "Heimatvertriebenenliedes", welches das Schicksal der vertriebenen Sudetendeutschen behandelt. Eine allzu voreilige, undifferenzierte Übertragung auf die in der Praxis weitaus häufigeren rechtsextremistischen Lieder auf Tonträgern und Internetangeboten von Neo-Nazis ist meines Erachtens nicht angebracht. Zwar gelten auch hier die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Meinungsäußerungsfreiheit ohne Einschränkung. Gleichwohl werden dort in der Regel fremdenfeindliche und menschenverachtende Inhalte wesentlich unverhohlener geäußert, sodass von einer "verdeckten Aussage" im Sinne der Diktion des BVerfG allenfalls in Ausnahmen die Rede sein  kann.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion