Einlassung des Angeklagten durch Erklärung des Verteidigers

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 22.12.2007

Zu den wichtigsten Rechten des Angeklagten in der Hauptverhandlung zählt, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Lässt sich der Angeklagte zur Sache ein, wird er mit seiner Aussage zu einem außerhalb der Beweisaufnahme gewonnenen, der richterlichen Beweiswürdigung zugänglichen Beweismittel. Die Einlassung des Angeklagten zur Sache ist, wie auch immer sie abgegeben wird, eines der wichtigsten und effektivsten Mittel materieller Verteidigung.

In immer mehr Hauptverhandlungen lässt sich der Angeklagte selbst nicht zur Sache ein, sondern die Verteidigerin/der Verteidiger gibt für ihn eine Erklärung zum Anklagevorwurf ab. Dahinter können verteidigungstaktisch die unterschiedlichsten Erwägungen stehen: Erfahrung und Rhetorik des Verteidigers sollen genutzt werden, die Aussage soll möglichst objektiv abgegeben werden, der Mandant soll sich nicht unter Umständen bei der anschließenden Befragung durch Gericht und Staatsanwalt "um Kopf und Kragen" reden etc.

Trotz vielfältiger Gründe dafür, die Einlassung des Angeklagten durch eine Verteidigererklärungen "zu ersetzen", so sind damit doch wichtige Rechtsfragen verbunden, die die Revisionsgerichte immer wieder beschäftigen. Das ist auch der Grund dafür, dass sich das 12. Strafverteidiger-Frühjahrssymposium Karlsruhe am 18. und 19.4.2008 unter anderem mit dem Thema "Die Verteidigererklärung als Einlassung des Angeklagten" befassen wird.

Der 3. Strafsenat des BGH (BGH NJW 2005, 3508 [nur Leitsatz] = NStZ-RR 2005, 353 [Sachverhalt und Gründe]), hat es abgelehnt, Erklärungen des Verteidigers in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten, der selbst keine Erklärung abgibt, ohne weiteres als Einlassung des Angeklagten zu verwerten. Die Verwertbarkeit setze vielmehr voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zu dieser Erklärung ausdrücklich bevollmächtigt oder die Erklärung nachträglich genehmigt hat.

Nunmehr hat der 2. Strafsenat (Urteil vom 20.6.2007 - 2 StR 84/07 = BeckRS 2007, 11381 = StV 2007, 622 = StraFo 2007, 377) im Kern folgende drei Aussagen getroffen:

1. Lehnt das Tatgericht es ab, Erklärungen des Angeklagten gegenüber seinem Verteidiger, der diese schriftlich niedergelegt hat, durch den Verteidiger verlesen zu lassen, so begründet dies keine Besorgnis der Befangenheit des Gerichts.
2. Ein auf Verlesen dieser Erklärung als Urkunde gerichteter Beweisantrag ist unzulässig, da er darauf abzielt, die Einlassung des Angeklagten zu ersetzen.
3. Auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist in der unterlassenen Verlesung der schriftlichen Erklärungen des Angeklagten nicht zu sehen.

Es wäre interessant, über Ihre praktischen Erfahrungen zu diskutieren!

Nachtrag vom 14. Januar 2008: Zur Abgrenzung zwischen Sacheinlassung und bloßer Prozesserklärung jetzt auch BGH Beschluss vom 20.9.2007 - 1 StR 385/07, NStZ-RR 2008, 21

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

4 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Die Einlassung des Angeklagten durch den Verteidiger ist eine Frage, mit dem sich die Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte in jüngerer Zeit mit höchst unterschiedlichem Ergebnis beschäftigt hat. Auch wenn in den letzten Jahren eine deutlich restriktivere höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen ergangen ist (zuletzt der o.g. Beschluß des 1. Strafsenats des BGH), unter denen eine Einlassung des Verteidigers als eine des Angeklagten anzusehen ist, steht ein Grundsatzurteil zu der Frage der Zulässigkeit nach wie vor aus.

Im Prinzip ist zu unterscheiden, ob der Verteidiger eine mündliche Einlassung vorträgt oder das Gericht eine schriftliche Einlassung (im Urkundsverfahren) verliest. Als mündliche Einlassung ist auch das Verlesen (richtigerweise: Vorlesen) einer schriftlich abgefaßten Erklärung durch den Verteidiger anzusehen, da der Inhalt durch mündlichen Vortrag in die Hauptverhandlung eingeführt wird. Wer Urheber des vom Verteidiger vorgelesenen Manuskripts war, ist nicht entscheidend. Eine schriftliche Erklärung kann dagegen nur durch Verlesen durch das Gericht nach § 249 StPO als Beweis verwertet werden.

Das grundlegende Problem, ob der Verteidiger überhaupt eine mündliche Einlassung für den Angeklagten abgeben darf, hängt mit der Frage zusammen, ob die Sacherklärung des Verteidigers in oder ohne Anwesenheit des Angeklagten erfolgt. Für letzteren Fall enhält die StPO bspw. in § 234 und § 411 Regelungen, die nach vorherrschender Auffassung eine Vertretung nicht nur in Prozesserklärungen, sondern auch bei Sacherklärungen (d.h. der Einlassung zur Sache) als Ausnahme zulassen.

Anders ist die Lage dagegen bei dem in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten. Die Rechtsprechung und ein Großteil der Literatur lassen es - so hat es den Eindruck, bewußt - im Unklaren, was die Einlassung des Verteidigers für den Angeklagten dogmatisch darstellt. Eine Vertretung ist unzulässig, da sie nach einem allgemeinen Rechtsprinzip bei höchstpersönlichen Erklärungen ausscheidet. Es ist unstreitig, dass daher im Zivilprozess bei der Parteivernehmung eine Vertretung durch den Prozeßbevollmächtigten nicht statthaft ist. Das Verbot der Vertretung aufgrund der Höchstpersönlichkeit läßt ferner eine bloße Botenschaft ausscheiden. Andere Theorien, wie die Vertretung in der Erklärung und die Übermittlungstheorie, stellen, ungeachtet der Frage, wo der Unterschied zwischen Übermittlung und Vertretung liegen soll, bloße Umgehungsversuche, die dogmatisch nicht überzeugen (siehe dazu Olk, Die Abgabe von Sacherklärungen des Angeklagten durch den Verteidiger, Diss. Univ. Regensburg 2006, S. 130 ff.). Das häufig verwandte Argument, aus dem Schweigerecht folge das Recht zur Vertretung geht fehlt. Der Angeklagte hat nach dem nemo-tenetur-Grundsatz nur das Recht zu schweigen, nicht aber das Recht, die prozessualen Modalitäten seiner Einlassung selbst zu bestimmen.

Eine genaue Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung der Motive führt zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte eine Einlassung nur höchstpersönlich abgeben darf. Jede Form der Übermittlung einer Einlassung durch den Verteidiger ist unzulässig.

Diese Erkenntnis stimmt zumindest teilweise mit dem Ergebnis der letzten Entscheidung des BGH (NStZ-RR 2008, 21) überein, in der der 1. Senat festgestellt hat, dass reine Prozeßerklärungen des Verteidigers in keinem Fall als Einlassung des Angeklagten verwertet werden können.

Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht. Bei kleineren Sachen wie im Strafbefehlsverfahren, bei denen die Anwesenheit des Angeklagten nicht notwendig ist, ist es im Sinne der Prozeßökonomie hinzunehmen, dass wenigstens der Verteidiger eine Einlassung für den Angeklagten abgeben darf. Bei größeren Angelegenheiten sind dagegen die Anwesenheit und die höchstpersönliche Einlassung des Angeklagten zur besseren Aufklärung erforderlich (so schon RG 44, 285).

3

Das Recht des Angeklagten, sich nicht zur Sache äußern zu müssen, ist nicht in § 243 IV S.1 StPO sondern in Absatz 5  Satz 1 des § 243 StPO niedergeschrieben.

0

#2 JUri und #3 Besserwisser

Mein Beitrag wurde am 22.12.2007 mit der damals geltenden Gesetzeslage eingestellt. Erst mit Gesetz vom 29.7.2009 (BGBl I S.2353) wurde der bis dahin geltende Abs. 4 zu Abs. 5. Die Frage ist damit hoffentlich beantwortet.

 

Mit besten Grüssen

Bernd von Heintschel-Heinegg

 

 

 

Kommentar hinzufügen